Nach 12 Monaten auf Reisen
Das Leben passiert schneller, als ich schreiben kann. Schule, Reisen, Erleben und Verarbeiten brauchen seine Zeit, besonders in so schwierigen Phasen wie den letzten 6 Wochen. Wir sind inzwischen in Costa Rica angekommen, werden mehrere Monate hierbleiben und verschnaufen. In dieser Zeit werden die Kinder zur Schule gehen, Timm sich von einer Operation erholen, wir einige Veränderungen an Roger vornehmen und ich werde schreiben, die Lücke füllen, die auf diesem Blog inzwischen klafft. Diesen Eintrag allerdings kann ich nicht aufschieben, er muss jetzt, in Echtzeit gepostet werden!
15. Juli 2019- heute vor einem Jahr standen wir schluchzend auf dem Rondell des heimischen Hofes und nahmen Abschied von unseren Lieben. Allein der Gedanke knotet meinen Magen zu einem festen Bündel. In den 365 Tagen, die wir jetzt unterwegs sind, war das die schwierigste Prüfung von allen, die welche uns am allermeisten abverlangt hat. Egal welche Proben und Schwierigkeiten uns die weitere Reise auferlegen wird, die schwierigste haben wir bestanden: Das Gehen.
Ein Jahr- in den Ohren der Kinder ist das eine gewaltige Zeitspanne. Bei Max entspricht es einem Achtel seines Lebens, ist wahrscheinlich ein Viertel der Zeit, an die er sich wirklich erinnern kann. Für Timm und mich fühlt es sich an, als wären wir gerade erst losgefahren. In unserem Leben ist eine Spanne von einem Jahr verschwindend gering. Und doch können wir kaum glauben, wie viel Leben in diese doch so kurze Zeit passt: 13 Länder, 28.000 Kilometer, drei Mal ausprobiert wie sich Leben an anderen Orten anfühlt (Vancouver, San Francisco, Berkeley), im Schnee gecampt, Wale gestreichelt, vor Bären gezittert, mit Mennoniten zu Mittag gegessen, durch Höhlen getaucht, im Dschungel geschwitzt, Vulkane beobachtet, Erdbeben überlebt, Wellen gesurft, Cenoten durchschwommen, verschiedenste Kulturen erlebt, Unbekanntes gegessen, Freundschaften geschlossen, Sprachen gelernt, Vorurteile überwunden, in Kakteen gefallen, tausende Stunden geschraubt, abertausende gelacht und gekuschelt…Nicht immer war es leicht, aber um bei Max‘ Philosophie zu bleiben: Ein echter Himmel braucht Wolken, weil er sonst nur aussieht wie Wasser.

Hatten wir Pläne, als wir losgefahren sind? Nicht wirklich Pläne, eine Idee der Strecke, ein Ziel, mehr oder weniger, ein elastisches Zeitfenster und vor allem Sehnsucht und Hoffnungen. Sehnsucht nach Abenteuer, nach neuen Erkenntnissen, nach Abwechslung, nach Veränderung. Wir wollten Zeit zusammen verbringen, als Familie wachsen, unsere Kinder bei uns haben, bevor sie das Nest verlassen. Den Grundstein für eine glückliche und unabhängige Zukunft legen. Wir haben gehofft, ihnen Perspektiven aufzeigen zu können, von denen sie sonst keine Ahnung gehabt hätten. Wir wollten frei sein. Frei von sozialen Zwängen, frei von Leistungsdruck, wollten gucken, wohin es führt, wenn man einfach mal locker lässt. Jemand sehr Schlaues hat einmal gesagt, dass das Unbekannte der perfekte Ort ist, von dem aus man erschaffen kann. Und weil man Unbekanntes nicht planerisch erfassen kann, muss man einfach machen. Anfangen, probieren, rausfinden was funktioniert und was nicht, was anderes probieren, wenn man auf die Nase fällt. Wie oft hat man im Alltagsleben den Luxus sich diese Haltung leisten zu können? Normalerweise hat man eine Trillion Verpflichtungen, hetzt von Do To Listen getrieben durch den Alltag, muss funktionieren. Wenn was schief geht, das muss nur ein verbummelter Turnschuh sein, hakt es sofort im Getriebe, die Taktung ist gestört und man selber verstimmt. Einfach zurücklehnen und gucken, was kommt, ist Seelendoping in der reinsten Form. Und was hat‘s gebracht? Mühe, Streit, Tränen und Blut, das schon. Aber auf der anderen Seite ist die Waagschale randvoll gefüllt mit Glück, Inspiration, Liebe, Dankbarkeit, Zugehörigkeit, Stärke, Wachstum, Kreativität. Auf Reisen herrscht Anwesenheitspflicht im eigenen Leben! Man kann sich nicht durchwurschteln, Dinge schleifen lassen oder sich Bequemlichkeiten erlauben. Tut man es, muss man später dreifach dafür zahlen. Man muss sich zu jeder Zeit mit allem auseinandersetzen was einen umgibt, wach sein, auf Empfang. Veränderung kann nur von einem Punkt aus passieren: Nur im Jetzt kann man die Zukunft gestalten. Hält man sich zu lange und zu viel in der Vergangenheit oder mit dem Planen der Zukunft auf, passiert nichts. Die Reise wirft uns immer wieder mühelos ins Jetzt zurück, es ist gar nicht möglich, zu lange Vergangenem nachzuhängen oder zu planen, die Gegenwart drängt sich immer wieder laut dazwischen, zwingt uns auf den Boden zurück. Vielleicht ist das der Grund, warum wir die Zeit so viel intensiver erleben. Was wirklich glücklich macht, so auch Christine Carter in ihrem Buch „The sweet spot-How to find your groove at Home and at work“ ist, die Zukunftsphantasien sausen zu lassen und sich mit dem Jetzt auseinaderzusetzen, den Moment erleben, mit allen Höhen und Tiefen. Weil das Reisen eine selbstbelohnende Tätigkeit ist, etwas das durchs bloße Tun glücklich macht, der Weg sozusagen das Ziel ist, kann am Ende nur ein großes dickes PLUS stehen.
Fehlt uns etwas? Natürlich vermissen wir Freunde und Familie, sind wir traurig das Neugeborene lieber Freunde nicht persönlich begrüßen zu können. Natürlich fehlt uns deutsches Brot und der Gedanke an deutsche Metzgerköstlichkeiten treibt uns die Tränen in die Augen. Ich habe meine paar, unter den Achseln inzwischen zart gelb geränderten Shirts ziemlich satt, die Kinder phantasieren von ihrem Spielzeug, Lotta von durchkicherten Nächten. Und doch tut uns der Mangel gut. Etwas zu vermissen ist heilsam, weil es Prioritäten wieder zurechtrückt. Unsere Freunde werden auf uns warten, unsere Familien tragen wir im Herzen, unsere Zeit im Leben des Babies von Daniel und Inki wird kommen, auch wenn wir es jetzt nicht im Arm halten können. Sich an dem zu freuen was uns gerade zur Verfügung steht und nicht das geringste Bedürfnis nach MEHR zu haben ist ein großes Glück.
Die Kinder sind wahre Kreativkanonen. Aus dem wenigen Lego das sie haben, bauen sie die erstaunlichsten Maschinen, Paula hat den Jungen ein Copilotlenkrad gebaut, damit lange Fahrten nicht langweilig werden.
Lotta zeichnet atemberaubend, führt Carl in die Aquarellmalerei ein, wenn keine Gitarren- Youtubetutorials zur Verfügung stehen, komponiert sie einfach selber, Paula schreibt Geschichten. Die Kinder haben völlig eigene Spielwelten erfunden, haben eine Geheimsprache, drehen Filme, dichten Lieder, bauen mit allem was sie finden können, lesen sich gegenseitig Geschichten vor. Die Kleinen lernen von den Großen und die Großen genießen es, ab und zu wieder klein sein zu können. Jetzt gerade wohnen wir in einem Haus, in dem jedes Kind sein eigenes Zimmer hat, jeder den Freiraum bekommt, den er so lange hat entbehren müssen. Wenn wir morgens in die Zimmer kommen, um die Kinder zu wecken, liegen Paula und Lotta zusammengekuschelt in einem Bett, die Jungs im anderen, manchmal auch ganz bunt durcheinander. Niemals aber schläft einer allein.
Die Kinder sind nicht mehr nur Geschwister, sie sind zu Freunden geworden. Die Erfahrungen, die sie teilen, haben sie zusammengeschweißt, ihnen eine Nähe zueinander beschert, welche ihnen hoffentlich für immer erhalten bleibt. Als Timm operiert wurde, habe ich die Kinder zwei Tage völlig sich selber überlassen müssen und es war kein Problem, weil sie einander hatten. Sie unterstützen und erziehen sich gegenseitig auf eine Weise, die es Timm und mir erlaubt, uns ab und zu völlig zurückzunehmen, einfach nur dazusitzen und zu staunen. Unsere Familie ist ein eigener kleiner Mikrokosmos geworden, der für sich funktioniert, der jedem einen Platz garantiert, der Sicherheit verspricht, auch wenn draußen der Sturm tobt. Wir hatten gehofft, dass uns die Reise in diese Richtung führen würde. Meine mäkelnden inneren Stimmen, die Angst, den Kindern zu viel zuzumuten, egoistisch zu sein, ihnen Schaden zuzufügen sind verstummt. Sie haben sich respektvoll erhoben, honorieren unseren Mut, es trotzdem gewagt zu haben mit tosendem Applaus.

Auch wenn jeder Blogeintrag in der Familie verlesen und diskutiert wird, ich versuche, möglichst jedes Familienmitglied einzubeziehen, blicke ich doch immer durch meinen ganz persönlichen Filter. Zu diesem besonderen Tag konnte ich die anderen davon überzeugen, einmal Ihre Sicht der Dinge abzugeben. Ich habe jeden gebeten, aufzuschreiben, was ihm an der Reise gefällt, was ihnen fehlt, was Ihm durch den Kopf geht. Ungekürzt und (fast) unlektoriert im Folgenden zu lesen:
Max (8):

Was ich an der Reise mag
Ich mag das wir mehr zusammen machen
Ich mag das wir viel mehr uns viel besser kennenlernen
Wir lernen viele Kulturen und wir wissen viel mehr
Carl (10):

Ich mag an der Reise sehr, dass wir die ganze Zeit zusammenhalten. Nichts kann uns stoppen, auch wenn es mal hart ist.
Wir lernen sehr viel und lernen andere und verschiedene Kulturen kennen.
Wir sehen alles zusammen und haben Erinnerungen als Familie und das ist wunder schön.
Wir können dort bleiben, wo wir wollen und wenn es mal nicht so schön ist, dann geht‘s halt weiter.
Wir können so lange reisen wie wir wollen und nichts ruft uns nach Hause.
Ich habe in einem Jahr meine Familie so kennengelernt wie noch nie, ich weiß genau was jemand mag und was nicht.
Wir sind den ganzen Tag zusammen und das ist das schönste Gefühl und das würde ich für Nichts tauschen.
Nach 1 Jahr auf Reisen- von Paula (12)

Was mir am Reisen besonders gefällt ist, das man eigentlich immer was lernt. Von Sprachen und Tieren, Ländern und Kulturen bis zu „Situationen“. Ich glaube, dass nicht alle von meinen Freunden mal einfach so in einer Schule zu Besuch gewesen sind oder gelernt haben mit fremdsprachigen Kindern zu spielen und sich so gut es geht zu unterhalten. Vor allem gefällt mir, dass unser Leben überhaupt gar nicht langweilig ist. Jeder Tag ist anders und man lebt sein Leben nicht einfach in denselben Abläufen. Sonst geht man zur Schule, macht irgendwann Abi und arbeitet dann, kriegt Kinder, heiratet, wird Oma und natürlich gibt es dort auch tolle und spannende Sachen die passieren. Aber im Grunde ist sein Leben wie das eines jeden anderen. Und irgendwann ist man vergessen. Das finde ich traurig. Man hat sein Leben gelebt, hat z.B. „Plastikwasser“ und andere Dinge genutzt, ohne etwas zu ändern. Ich weiß nicht, ob man das versteht, Ich kann es einfach nicht beschreiben. Ich glaube halt, dass wir dadurch dass wir reisen, viel mehr von der Welt sehen und verstehen. Ich glaube dadurch dass wir nicht nur gute Dinge, sondern auch schlechte sehen, haben wir mehr Möglichkeiten etwas daran zu ändern. Ich glaube halt, dass man dadurch dass man seine ganze Welt sieht, mehr das Gefühl hat, auf sie aufzupassen, weil plötzlich alles sein Zuhause ist und man für sein Zuhause sorgen muss. Deswegen glaube ich, dass wir durch das Reisen auch anderen helfen können. Das wir es nutzen können. Zumindest habe ich mir das vorgenommen. Ich habe selbst gemerkt, wie klein meine Welt in Deutschland eigentlich war. Man hatte dort Freunde und hat eigentlich nur über sein Leben nachgedacht. Alles was sein Leben betraf, war irgendwie seine ganze Welt. Inzwischen ist meine Welt so viel größer!!! Und Probleme, die in Deutschland riesig waren, waren, wenn man zurückdenkt, eigentlich ziemlich klein. Wenn man überlegt, z.B. ein kleines Gerücht über einen, wie viele Leute das glauben, wie viel es eigentlich ausmacht und dass es doch gar nichts ausmachen muss. Wenn man überlegt, wie klein die Schule dann ist, wie klein Plön ist, wie klein Deutschland ist! Aber dort war es so, dass plötzlich die halbe Weltbevölkerung plötzlich blöde Sachen über einen dachte (was eigentlich auch egal wäre). Durchs Reisen sieht man aber die ganze Welt als seine Welt. Es kann auch sein, dass ich das jetzt so empfinde, weil ich weg bin, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich mich viel mehr für die ganze Welt interessiere als Zuhause. Was mir am Reisen noch besonders gefällt ist, das wir als Family immer zusammen sind und uns alle auch viel besser kennen als z.B. andere Familien. Natürlich vermisse ich meine Freunde, aber ich liebe Reisen einfach!!
Lotta (16):

Ich finde, reisen zu können ist ein echtes Geschenk. Ich habe in dem letzten Jahr so viel gelernt und erlebt. Ich habe meine ganze Familie, einschließlich mich ganz neu kennengelernt. Wir sind zu einem unzertrennbaren Team zusammengewachsen. Jeder kennt die Stärken und Schwächen von jedem. Außerdem habe ich gelernt, über meinen Schatten zu springen. Während ich in Deutschland schon Respekt davor hatte, ein Referat vor meiner Klassen zu halten, habe ich auf der Reise gelernt, wie es ist, in einem ganz neuen Land auf einer ganz neuen Sprache neue Menschen kennenzulernen und Freundschaften zu schließen. Ich bin nicht nur Menschen gegenüber offener geworden, sondern auch was meine Zukunft betrifft. Ich sehe inzwischen die ganze Welt als mein Zuhause. Ich weiß noch nicht, in welchem Land ich Abi mache oder auf welchem Kontinent ich später leben möchte. Alles steht mir offen und ich glaube, es ist ein unheimliches Geschenk so frei sein zu können. Auch habe ich Selbständigkeit gelernt. In Deutschland habe ich Schule als eine Art Pflicht gesehen und Vokabeln lernen als Strafe. Durch das Homeschooling habe ich gelernt, mir Dinge selbst zu erarbeiten, habe sogar Spaß an der Schule und lerne inzwischen freiwillig Spanisch. Zum Französisch kriege ich mich noch nicht so ganz motiviert, aber vielleicht kommt das ja noch. Eine weitere Sache, die ich durch die Reise gelernt habe, ist, wie verschieden die Menschen, Kulturen und Länder auf der Welt sind. Ich bin so dankbar, dass ich schon so viel von der Welt sehen durfte. Ich freue mich unheimlich doll auf die Zeit, die noch kommt.
Timm:

Nach einem Jahr Reise kann ich eine durchweg positive Bilanz ziehen. Wenn ich zurückblicke, gibt es keinen Tag, keinen Moment, an dem ich an unserem Vorhaben gezweifelt hätte oder mir gewünscht hätte, woanders zu sein. Es gab keine Hürde, die wir nicht nehmen konnten. Wir mussten uns mit Motorschaden und ernsten Krankheiten auseinandersetzen, nichts jedoch hat uns von unserem Weg abbringen können. Neben den unendlich vielen Erlebnissen und Erfahrungen, die uns diese Reise schenkt, ist für mich das Größte das familiäre Zusammensein. Durch die viele Zeit die ich mit meinen Kindern und mit Michaela zusammen sein darf, habe ich die Chance, diese in unterschiedlichen Situationen völlig neu kennenzulernen und meine Beziehung zu jedem Einzelnen zu vertiefen und zu stärken. Es gelingt uns durch das Erlebte aneinander zu wachsen und voneinander zu lernen. Wir sind als Familie zu einer Einheit zusammengewachsen, was bei uns im normalen Alltag in Deutschland verloren gegangen ist. Dadurch, dass wir nur sehr wenig im Voraus planen und oft gar nicht wissen, wie der heutige Tag endet und was der morgige bringt, bleibt, nur im Hier und Jetzt zu sein. Dieses kombiniert mit den schönen Erlebnissen, der Natur und den lieben Menschen empfinde ich als wahres Glück. -nothing can stop us-
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