Puerto Cayo

(August 2020) Schnelles Wlan, Zeit und Ruhe haben immer Auswirkungen auf unsere Entscheidungen: Wir buchen Flüge und eine Air BnB Unterkunft auf den Galapagos- Inseln. Worauf wir uns einlassen und inwiefern wir uns frei auf den Inseln bewegen können, wissen wir noch nicht, da sich Galapagos noch in der Anfangsphase der Wiedereröffnung befindet. Wir wollen das Risiko trotzdem eingehen. Unsere Flüge haben wir von Guayaquil aus gebucht, müssen genug Zeit einplanen um PCR- Tests machen zu lassen und einen sicheren Platz für Roger zu finden. 

Sich von Punta la Barca loszureißen ist nicht einfach, noch weniger, als in der Nacht vor unserer Abreise Hundewelpen geboren werden. Kaum ein Haushalt in Ecuador ist ohne einen Hund. Differenziert wird zwischen den kleinen Rassehündchen, denen man Schleifchen ins Ohrenfell klebt, die lustige Mäntelchen tragen, in Taschen oder in Decken gewickelt, wie Babys betüddelt werden, und den mittelgroßen Mischlingshunden, die frei durch die Straßen der Dörfer stromern. Anders als die überbehüteten „Hutzen“ (so nennen die Kinder die Miniaturhündchen, weil sie in ihren Augen Hunde in Katzengröße sind) vermehren sich diese Hunde in freier Liebe, werden von Nachbarn und Restaurantbesitzern mitgefüttert, bilden manchmal sogar Rudel, die sich morgens am Strand zum Spielen treffen. Unkastrierte Hunde sind in Deutschland ein so seltener Anblick, dass Max beim Anblick des ersten Hundehodens (in Mexiko) dachte, das arme Tier hätte ein Krebsgeschwür. Während die Hunde in Zentralamerika in einem oft erbärmlichen Zustand waren, sehen die stromernden Hunde in Ecuador, sofern es nicht vom vielen Säugen ausgemergelte Hündinnen sind, meist recht gut genährt aus. Ecuadorianer sind großzügige Menschen und viele Male haben wir gesehen, wie anwesende Hunde bei Picknicks oder an Strand- oder Strassenlokalen ganz selbstverständlich mitgefüttert wurden. Auch wir haben immer einen Sack Hundefutter an Bord, um eventuelle Gäste bewirten zu können. 

Nachdem die Taufe der Hundebabies auf die Namen einiger unserer Kinder vollzogen ist, brechen wir schließlich auf. Landschaftliche Vielfalt bewegt sich in Ecuador tatsächlich in einer für uns völlig neuen Dimension: Hinter jede Kurve eine neue Welt. Kaum zwanzig Minuten Fahrt von Santa Marianita entfernt weicht die sandige Wüstenlandschaft plötzlich dem tropischen Dschungel des Pacoche Waldes, in dem  Affen auf hunderte Jahren alten Bäumen toben. Der Wechsel ist so abrupt, dass ich fast geschockt bin von dem plötzlichen Grün, das nur ein paar Minuten später wie eine Fata Morgana scheint, als uns wieder staubige Trockenheit umgibt.

Wir fahren entlang der Küstenstraße, die an manchen Stellen von Wind und Wellen unterhöhlt, ins Meer gebröselt ist, durch Fischerdörfer in denen der frische Fang am Straßenrand verkauft wird. Es ist Wochenende, an manchen Orten sind die Strandzufahren von der Polizei abgesperrt. Wir sind uns nicht sicher, ob wir überhaupt fahren dürfen, in vielen Provinzen gibt es Fahrverbote für private Autos am Wochenende und beschließen daher, in Puerto Cayo zu bleiben und erst am Montag weiterzufahren.

Noch vor ein paar Monaten bin ich beim Anblick von Palmen, Hibiskus und jeglicher exotischen Vegetation in freudige Aufregung verfallen, habe fotografiert bis die Kameralinse glühte. Seit einiger Zeit allerdings, lösen Löwenzahn, Weiden und Holunder, wie man sie in der Sierra findet, sowie grauer Ostseehimmel diese Gefühle in mir aus. Wolken in allen Schattierungen von Grau, feuchtkühle Luft, zwei Strassenhunde, die sich neben mich in den Sand kuscheln, salzige Meeresbrise und Kohlsuppe auf dem Herd sind mein momentanes Glücksrezept. Bei aller Heimatnostalgie allerdings sind wir uns alle einig, dass wir jetzt auf keinen Fall zurückwollen. Das ist aber auch das Einzige, was wir wissen. Wir haben uns immer damit gebrüstet einigermaßen planlos unterwegs zu sein und haben es geliebt, von Tag zu Tag entscheiden zu können. Jetzt, wo genau das von uns verlangt wird, versagen wir. Das, was uns noch vor kurzem die größte Freiheit, ist nun das größte Gefängnis: Nicht zu wissen, was morgen ist, nicht planen zu können, keine Ahnung zu haben, ob Weiterreisen überhaupt in diesem Jahr noch möglich ist, raubt uns jede Energie. Wir sehnen uns nach einem Ausblick, sind schlecht darin, unser Schicksal nicht in der Hand zu haben. Wir sind erschöpft und müde von der Richtungslosigkeit, vom Warten. 

Außer uns zeigt auch das Material in den letzten Wochen einige Ermüdungserscheinungen: Die Badezimmertür hakt immer wieder aus, der Öffnungsmechanismus des Kühlschrankes geht nicht mehr, in der Feuchtigkeit des Oriente haben sich die Holzteile der Sitzgruppe verzogen, sodass die Klappen der Sitzbank nicht mehr richtig schließen, der Bürostuhl passt nicht mehr in die perfekt angepasste Lücke. Ein Reifen verliert Luft, die Bremsen funktionieren nicht mehr 100%, auch der Gasherd brennt nur noch auf drei Platten und zündet nicht mehr. Die Dusche ist schwierig einzustellen, wir duschen entweder eiskalt oder kochend heiß. Mein geliebter Kaffeebecher ist kaputt. Zwar hat Timm ihn geleimt, aber wenn der Kaffee zu heiß ist, schmeckt alles nach Kleber. An Roger wachsen die Roststellen wie die Sommersprossen in den Gesichtern der Kinder, manchmal auch Pilze. Die Transportkiste auf dem Dach ist aufgequollen, die Toilettenspülung pumpt und schließt nicht mehr richtig, auch die Waschmaschine konnten wir noch immer nicht reparieren.

Zum ersten Mal lassen wir den Gedanken einer langen Reisepause oder gar eines Abbruchs zu. Wollen wir unter diesen Bedingungen weiterreisen? Leidet die Freude, wenn wir mit den Menschen auf Distanz gehen müssen? Oder ist das nur einfach eine neue Wirklichkeit, an die wir uns gewöhnen müssen? Wird es jemals wieder ein Reisen wie vor Corona geben, oder bestehet unsere einzige Chance darin, zu akzeptieren was ist und unseren Frieden damit zu machen? Wir wissen es nicht, denken in alle Richtungen.

Stundenlang gehen wir spazieren, reden, denken, verwerfen, denken neu und sind uns schließlich einig. Diese Pandemie kann noch ewig weitergehen, es ist völlig ungewiss, ob wir dieses oder nächstes Jahr weiterreisen können. Schon vor langer Zeit haben die Kinder den Wunsch geäußert, noch einmal eine deutsche Auslandsschule zu besuchen, noch einige Zeit als „Expats“ im Ausland zu leben. Schon in Costa Rica haben wir uns um Plätze an der deutschen Schule Sydney bemüht, vor einigen Wochen wurden diese uns zugesagt. Damals war Sydney als Abschluss der Reise gedacht, wir waren davon ausgegangen, von Argentinien aus in diesen Abschnitt zu starten. Jetzt, das beschließen wir, wollen wir aufhören auf die Grenzen zu schielen. Wir werden uns auf Ecuador einlassen und endlich die Visaeinträge für Australien einreichen. Roger werden wir zum Ende des Jahres bei Hans in Ibarra lassen, zwei Jahre nach Australien gehen und wenn Lotta ihr Abi hat, zurückkommen, um den Rest der Panamericana zu bereisen. In einer Zeit, wenn Corona die Welt hoffentlich nicht mehr allzu fest im Griff hat.

Immer, wenn in mir Chaos herrscht, habe ich das Bedürfnis, im Außen Ordnung zu schaffen. Rogers paar Quadratmeter, auf denen wir schon lange ein ausgeklüngeltes Ordnungssystem etabliert haben, bietet dafür wenig Möglichkeit, der Strand vor unserer Tür dafür umso mehr. An anderen Tagen hätten mich das Ausmaß des Plastikmülls im Sand wahrscheinlich mutlos gemacht, jetzt allerdings ziehen die Kinder und ich beherzt los und sammeln viele Säcke Buntes vom Strand. Hauptsächlich sind es Strohhalme, Flaschendeckel, Schuhe, Plastiktüten, Take-Away Verpackungen aus Styropor, Plastikbestecke und -becher, Teile der hier üblichen grünen Fischernetze aus Nylon, ab und zu ein Mund-Nasen-Schutz. Außer uns sammelt noch der kanadische Besitzer des Hostels, in dessen Nähe Roger parkt. Er erzählt, dass er seit vielen Jahren jeden Morgen den Strandabschnitt vor seinem Hostel absammelt und dass in all den Jahren noch nicht ein einziger Einheimischer (der nicht dafür bezahlt wird) auf die Idee gekommen sei, es ihm gleichzutun. Auch jetzt sitzen die Menschen am Strand zwischen den Verpackungen ihres Picknicks, die sie vielleicht wegräumen werden, wenn sie gehen, sehr wahrscheinlich aber liegen lassen und beobachten uns, als seien wir ein Naturschauspiel. Es sei ein hoffnungsloser Kampf, erzählt uns der Kanadier. Jeden Morgen sähe der Strand aus, wie am Tag zuvor, der Nachschub an Müll, der aus der Bucht an den Strand geschwemmt wird und aus dem Hinterland, wo dieser einfach im Gebüsch oder am Straßenrand rottet, ist nahezu unerschöpflich. Irgendwo aber, das sagt er sich jeden Morgen wieder, muss man ja anfangen und hofft auf einen Bewusstseins- Shift in der lokalen Gemeinschaft. Jede Veränderung beginnt mit einem ersten Schritt und während wir Seite an Seite sammeln, erinnere ich mich daran, dass es auch in Deutschland Zeiten gab, in denen Schrottautos auf der Wiese vergraben wurden und McDonalds- Verpackungen aus dem Autofenster flogen. 

Begleitet werden wir von zwei Hunden, die hier am Strand leben, uns im Moment unserer Ankunft adoptiert zu haben scheinen. Keine Sekunde lassen sie uns aus den Augen. Gehen wir als Familie spazieren, begleiten sie uns, verteidigen uns gegen andere Hunde und Spaziergänger, der eine einer läuft vorweg, der andere passt auf, dass keines der Kinder zurückbleibt. Gehen wir zum Mittagessen, warten sie geduldig vor der Tür des Restaurants, öffnen wir morgens Rogers Tür, begrüßen sie uns schwanzwedelnd. Die Versuchung sie mitzunehmen, ist riesengroß. Als wir allerdings am Tag unserer Abfahrt beginnen zu packen, legen sie sich abseits von uns in den Sand, als könnten sie unsere Gedanken lesen, beobachten uns und als wir sie zum Abschied noch einmal streicheln, verschwinden sie, noch bevor wir in Roger eingestiegen sind, am Strand. Reisefreundschaften, bei denen man sich in kurzer Zeit sehr nahe kommt, eine intensive Zeit verbringt und dann wieder in verschiedene Himmelsrichtungen weiterzieht, sind, das zeigen uns unsere beiden Fellfreunde, nicht nur auf Menschen beschränkt. 

Ecuador

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  1. Nicht einfach für euch, die richtigen Entscheidungen zu treffen, da ihr aber darüber beginnt nachzudenken, nicht nur die positiven Seiten im Auge habt, sondern realistisch abwägt, mit den Kindern zusammen, ja dauern unterwegs zu sein, kann auch anstrengend werden, sich ständig umzustellen wird manches mal schwieriger als man denkt. Eine gewisse Beständigkeit ist irgendwie in uns verankert, sich zugehörig und zu Hause oder wo auch immer sich zu Hause zu fühlen. Nirgendwo werden wir das Paradies vorfinden, als in uns selbst. Wobei paradiesische Zustände ja nur in unserem Kopf existieren.

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