Nach 17 Monaten auf Reisen
Dezember 2019: Der Dezember ist das Grande Finale des Jahres, das Feuerwerk, in dem das Jahr noch einmal alles auffährt, ein letztes rauschendes Fest, ein Glitzern, Glimmern, Schwelgen. Man trifft Familie und Freunde, man schlemmt, man prasst, kauft Geschenke für die, die man Ewigkeiten nicht gesehen hat, versucht, alle Konflikte auszublenden für ein paar friedliche Festtage . Man macht es sich schön. Dann ein riesen bunter Knall und es ist Stille. Leere, eine frische Jahreszahl, ein Neuanfang ohne Altlast. Alles scheint möglich im ersten Monat eines neuen Jahres. Es fühlt sich an, wie in ein blütenweißes, frisch bezogenes Bett zu krabbeln- ein Bett in dem noch nicht der Schweiß der letzten Träume müffelt.

Aber zunächst das Grande Finale, das letzte Aufbäumen eines endenden Jahres. Auf Reisen ist es für uns um vieles anspruchsvoller den Dezember zu bewältigen. Die Kunst bestehet darin, lokale Begebenheiten und Möglichkeiten einzubauen, ohne die Stimmung zu verfälschen. Nikolaus, Adventskalender, die Geburtstage von Carl und Max, Adventszeit, Weihnachten und Sylvester. All diese Ereignisse sind emotional ziemlich aufgeladen und so flexibel die Kinder im Alltag sind, so wenig sind sie bereit, bei diesen Jahresmeilensteinen Kompromisse einzugehen. Alles soll an diesen Tagen genauso sein wie immer, wie Zuhause. Das ganze Jahr freuen sie sich auf diese Highlights, entsprechend groß ist der Druck, sie nicht zu enttäuschen.

Welch ein Geschenk, dass wir bereits einige Monate in Costa Rica verbracht haben, dass wir uns inzwischen auskennen, die Kinder Freunde haben und wir genug Zeit haben, die Wunschlisten abzuarbeiten. Wobei Wünsche in unserem Fall, besonders bei den Kindern, viel weniger materieller Art sind als noch vor 2 Jahren. Die letzten fast 1,5 Jahre haben uns gelehrt, dass vieles, was uns scheinbar materiell definiert, eine Last ist. Dass es uns manchmal wie ein Bleigewicht unter die Oberfläche zieht, in eine Umgebung in der es dumpf und schummrig wird, in der man weder richtig sehen noch hören kann, in der man unermüdlich mit den Armen rudert, um nicht unterzugehen. Hier hat man keinen Blick für das, was sein könnte, weil man zu sehr beschäftigt ist, mit dem was ist.
Die Weihnachts- und Geburtstagswunschliste der Kinder werden immer kürzer. Nicht nur unser Platzmangel ist der Grund dafür. Wir sind zufrieden und erfüllt, fühlen keinen Mangel, den wir durch Materielles befriedigen müssten. Carl und Max wünschen sich neue Stifte, einen neuen Mp3Player und Lego, Lotta wünscht sich Künstlerbedarf, Paula eine Muschelkette und eine weiße Bluse. Und eine Überraschung steht bei jedem Kind ganz oben auf der Liste. Geben, das ist für alle Kinder fast wichtiger, als selbst zu bekommen. In Atenas gibt es eine Organisation, die Sponsoren für Weihnachtsgeschenke für sozial benachteiligte Kinder sucht und dann die gespendeten Geschenke vermittelt. Jedes unsere Kinder zieht vom AngelTree die Karte eines costaricanischen Kindes, auf der deren Alter, Kleider-und Schuhgrößen sowie größte Wünsche verzeichnet sind. Zu sehen, mit welchem Perfektionismus und Herzblut sie die Geschenke für die unbekannten Kinder aussuchen, wie liebevoll sie diese verzieren und welche Freude es ihnen bereitet, ist rührend.
Viel wichtiger als Geschenke, sind die kleinen Dinge, die den Geburtstag zum Ehrentag und die Weihnachtszeit feierlich machen. Es sind die Traditionen, das Brauchtum, es geht um Zeremonien, um Dinge, die wir jedes Jahr zu Weihnachten tun und die wichtig sind für die Kinder. Sie möchten zu jedem Geburtstag die bunte Geburtstags-Wimpelkette die wir seit ihrer Geburt aufhängen, wenn ein Familienmitglied Geburtstag hat. Sie möchten morgens aufgeregt im Bett liegen, warten, bis der Rest der Familie singend an ihrem Bett steht und sie zum Geburtstagstisch führt. Den müssen außer Geschenken auf jeden Fall ein Geburtstagskuchen mit brennenden Kerzen und bunte Luftballons schmücken. Bevor ausgepackt wird, werden die Kerzen ausgeblasen, am besten in einem Zug und ohne den Kuchen zu bespucken. Am liebsten hätten sie auch hier die Adventskalender, die ich ihnen genäht habe, als sie noch ein Baby waren. Sie möchten am Abend vor Nikolaus Schuhe putzen, sie wünschen sich einen echten duftenden Weihnachtsbaum, das selbe Weihnachtsessen wie Zuhause und rotweißen Baumschmuck und um Gottes Willen keine bunten Blinkelichter am Baum, wie sie hier in Costa Rica üblich sind.
Eine Geburtstagsfeier mit Freunden, einen Tag Hauptperson sein, Kuchen mit in die Schule zu bringen und etwas Besonderes zu unternehmen sind für beide Jungs viel wichtiger als außergewöhnliche Geschenke. Und glücklicherweise können wir Ihnen diese Wünsche erfüllen. Ein halbes Jahr in der lokalen Schule bescheren ihnen Freunde, mit denen sie feiern können. Carl fährt an seinem Geburtstag mit einigen Freunden in den Trampolinpark, Max feiert zu Hause eine Fußballparty. Während Carl sich wünscht, zweimal zu feiern, einmal mit Familie und einmal mit Freunden, möchte Max mit allen am selben Tag feiern, mit richtig Bass und Ramba Zamba.
An Carls Familiengeburtstag überraschen wir ihn mit einem Ausritt, Max bekommt eine Piñata und Lotta und Paula bereiten eine Schnitzeljagd für seine Gäste vor. Beide Jungen sind glücklich, strahlen mit der Sonne um die Wette.
Einkaufsmöglichkeiten und Heimatbesuch ermöglichen sinnvolle (und platzsparende) Weihnachtsgeschenke. Wie auch letztes Jahr in San Francisco, kommt uns Oma Karin zu Weihnachten mit Paulas Patenonkel Hendrik besuchen. Es ist das allerwichtigste Weihnachtsereignis von allen. Schon Wochen vorher fiebern wir alle diesem Besuch entgegen, freuen uns, mit ihnen „unser Atenas“ zu teilen, ihnen Einblicke in das Leben hier zu geben. Viele Reisende bekommen zu Weihnachten Heimweh, fliegen vielleicht nach Hause oder brechen ihre Reise ab. Und auch mich überkommt zu Weihnachten ein wenig Heimweh, nur ein wenig allerdings. Besonders an solchen Daten merkt man, dass man doch Fremder ist, dass man dort, wo man gerade ist, keine Tradition hat. Ein Geburtstag ohne Freunde ist nur ein halber Geburtstag, Weihnachten ohne Familie ist nur ein halbes Weihnachten. Umso glücklicher sind wir, auf beides nicht verzichten zu müssen. Und trotzdem werden wir zu Weihnachten ein kleines Bisschen wehmütig. Weihnachten in der Sonne ist anders. Ich mag Weihnachten bei Kerzenschein und Gemütlichkeit, ich mag die Düfte und Weihnachtsmärkte. All das gibt es hier nicht. Besinnlichkeit, für mich die Hauptzutat von Weihnachten existiert hier nicht. Hier ist Weihnachten eine bunt blinkende Sause und darum bleibt das Weihnachtsgefühl ein wenig aus- zumindest bis wir am 24.12 als Familie unter unserer inzwischen etwas trockenen Pinie sitzen, die den Wünschen der Kinder folgend rot-weiß geschmückt ist, deren Lichterkette weder bunt noch blinkend ist. Wie jedes Jahr essen wir Hochzeitssuppe, dann Braten mit Soße. Rotkohl habe ich auf dem Wochenmarkt gefunden, mit Zimt und Nelken weihnachtlich gewürzt, statt Kartoffelklößen gibt es Gnocchi, statt roter Grütze Apple Crumble. Wir zünden Teelichter an, ignorieren, dass die Wärme nicht dem Kaminfeuer, sondern der Tropennacht entspringt. Ein bisschen albern komme ich mir vor, denn auf der einen Seite wollen wir allen Traditionen entfliehen, an Weihnachten aber soll doch wieder alles so sein wie jedes Jahr. Das einzig Andere in diesem Jahr ist, dass wir am Nachmittag des 24. nicht feierlich um den gedeckten Kaffeetisch sitzen, sondern wie Hooligans auf die von Carl gebastelte Weihnachtspiñata eindreschen. Wir brauchen mehr als 96 Schläge, weil Carl das Pappgerüst mit Panzertape stabilisiert hat. Zum Glück, denn manchmal ist sehr heilsam, sich in lokalen Gepflogenheiten zu verlieren, je länger, desto besser, denn dann kann der Staub der eigenen Tradition sich ein wenig lüften.
gerne gelesen, kennt man es nicht, erscheint es irgendwie seltsam, auch schön, aber eben anders,