Grand Canyon
Ein Roadtrip durch den Westen der Staaten, ohne den Grand Canyon zu sehen, ist wie Spaghettieis ohne Erdbeersoße: Unvollständig. Und doch müssen wir uns mit diesem Gedanken auseinandersetzen. Bryce Canyon, Antelope Canyon, Yosemite, Monument Valley, alles Highlights auf die wir uns extrem gefreut haben, die wir aber eins nach dem anderen von unserer Liste haben streichen müssen. Wir sind einfach zur falschen Zeit hier. Unsere je 4 Wochen in Vancouver, San Francisco und Berkeley haben uns in unserem Zeitplan zurückgeworfen. Jetzt im Winter sinken die Temperaturen im Grand Canyon nachts auf bis zu -15 Grad, viel zu kalt für unsere neu installierten Wasserpumpen. Von Las Vegas aus sind es nur knapp 200 Meilen bis zum Westende des Canyons, wir beschließen, einen Tagesausflug dorthin zu machen. Es ist nicht dasselbe, aber besser als ihn gar nicht zu sehen.

Unsere erste Wüstennacht nach dem Las Vegas Intermezzo verbringen wir am Lake Mead, dessen Photoshopblau unwirklich gegen die ihn umgebende felsige Kargheit wirkt. Die venezianischen Kanäle, der „Comer See“ vor dem Bellagio, die Lagunen und Wasserfälle des „Wynn“ und des „Mirage“ Hotels, sie werden vom Wasser dieses Sees gespeist. Ausbleibende Regenfälle und der stetig steigende Wasserverbrauch Las Vegas‘ haben die Pegelstände des Sees in den letzten 20 Jahren stetig sinken lassen. Heute zeichnet sich die Hochwasserlinie deutlich sichtbar 30m über der Wasseroberfläche ab- ein erschreckendes Bild.
Viel später als geplant fahren wir am nächsten Morgen Richtung Westende des Grand Canyon. Dieser Teil des Canyons ist nicht Teil des Grand Canyon National Parks, sondern wird autark von der Hualapai Nation verwaltet. Es ist der von Vegas am besten zu erreichende Teil des Grand Canyon, wer keine Zeit hat, kommt mit dem Helikopter. Zeitweise kreisen bis zu fünf auf einmal über unseren Köpfen. Wir beschließen, dass uns das heute nicht stören wird, da die einzige Alternative gewesen wäre, ihn gar nicht zu sehen.
Mit abgehackten Gesten, die Ungeduld vermuten lassen, wird uns von einem Einweiser auf einem schottrigen, von provisorischen Absperrungen umschlossenen Parkplatz eine Lücke zugewiesen. Wir parken, sehen uns suchend um. Ähnlich einem Verladepferch für Rinder werden die Besucher durch geschickte Zaunführung in eine Reihe gelenkt. Wir reihen uns in die lange Schlange Wartender ein. Wofür genau, wissen wir nicht, da aber der gesamte Parkplatz abgesperrt ist, ist dies die einzige Möglichkeit. Vor uns stehen gepimpte Tussis, hinter uns eine indische Familie. Nirgends finden wir Schilder, die Preise oder Informationen verraten. „How many?“, blafft uns ein weiterer Einweiser in neongelber Weste an, als wir endlich den Anfang der Schlange erreicht haben. Wir werden durch einen Souvenirshop gelotst, der mehr einer unorganisierten Lagerhalle ähnelt, stellen uns wieder an. Die Kassiererin hat wenig Verständnis für unsere Nachfragen zu den verschiedenen Paketpreisen die sie auswendig mit starrem Blick auf ihren Bildschirm runterleiert. Sie will nur unser Geld, sehr viel davon. Die günstigste Version den Canyon zu sehen, kostet $49 pro Erwachsener und $44 für die Kinder. Den Skywalk, eine gläserne Plattform über den Canyon, sparen wir uns. Das hätte weitere $ 20 pro Person gekostet. Als Timm wissen möchte, was nun genau im Preis enthalten ist, wohin das Geld geht (in die lieblose Infrastruktur jedenfalls nicht) setzt sie uns davon in Kenntnis , dass wir uns hier auf Stammesgebiet befänden. Es klingt ein bisschen drohend. Wir sollten froh sein, nicht auch noch Steuern zahlen zu müssen ( Stammesgebiete, auch die von vielen First Nations betriebenen Casinos sind von der Steuer befreit). Ein weiterer Einweiser schiebt uns Richtung Busbahnhof, von wo aus wir in halsbrecherischem Tempo Richtung Canyonrand gekarrt werden. Neben mir steht ein alter indischer Mann, der schwer mit dem Gleichgewicht zu kämpfen hat, Carl sucht verzweifelt nach Halt, wird vom Fahrer angepöbelt, seine Finger vom Türmechanismus fernzuhalten. Zwischendurch brüllt er einige Infos nach hinten, aber schon die 3 Reihe kann sie nicht mehr verstehen. Ein Mikrophon wäre hilfreich gewesen. Der erste Stop am Canyon bietet phantastische Blicke. Blicke die mich mit allem versöhnen. Zwar bin ich extrem angespannt, als ich all die Leute direkt am Rand der 1200m tiefen Schlucht für Fotos posieren sehe, versuche mich aber auf den photografischen Vorteil eines fehlenden Zaunes zu konzentrieren. Ein Mann in Neonweste greift ein, wenn jemand mit den Fußspitzen den Canyonrand berührt.
Dann werden wir in einen weiteren Bus gepfercht, fahren an den nächsten Aussichtspunkt, der den ersten tatsächlich noch übertrifft. Die Aussicht ist grandios, ab und zu fliegt ein Helikopter durch den Canyon, ansonsten hallen nur die Rufe streitsüchter Raben von den Canyonwänden wieder.
Es wird langsam kalt, bis zum Sonnenuntergang bleiben uns noch zwei Stunden. Bis dahin müssen wir es in tiefere Regionen schaffen, wollen wir nicht wieder neue Wasserpumpen kaufen müssen. Wir steigen in den nächsten Bus, der, als er den Parkplatz erreicht, allerdings keine Anstalten macht, anzuhalten. Auch nicht auf Nachfrage. Stattdessen fahren wir zu einer Ranch, auf der man im Sommer im Halbstundentakt Ausritte buchen kann. Jetzt sieht das Gelände müllig und verweist aus. Wir bleiben einfach sitzen, blicken dem Strom der Leute nach, die sich durch die Tore ins Nichts begeben. Außer ein paar alten Kutschen und Pseudo- Westernstadtgebäuden ist dort nichts. Zurück auf dem Parkplatz dürfen wir wieder nicht den direkten Weg zu Roger gehen, sondern werden von zwei Ordnern genötigt, noch einmal durch den Souvenirshop zu gehen. Der Himmel färbt sich schon rosa, als wir endlich mit gemischten Gefühlen losfahren können. Die Blicke waren phantastisch, die Landschaft grandios. Von ganzem Herzen gönnen wir der Hualapai Nation den Profit, den sie aus dem Canyon auf ihrem Reservat erwirtschaften können. Das „Wie“ allerdings macht den Unterschied und ein bloßes Melken der Touristen ohne im Gegenzug weder für Informationen, Komfort oder Sicherheit zu sorgen, unfreundlich und arrogant auf Fragen zu antworten entlockt mir ein herzliches FUCK YOU!
Vom Grand Canyon bis LA fahren wir einen Teil der Route 66, campen fast überall wild. Im Mohave Valley finden wir ein ausgeblichenes Kuhskelett, versuchen es wieder zusammen zu puzzeln.
Max fällt in einen Kaktus, wir müssen wir ihm bleistiftminendicke Stacheln aus dem Bein operieren. Er erträgt es tapfer und springt eine Stunde später wieder fröhlich durch den kleinen Ort Oatman, einer touristischen Cowboystadt.
Eine Nacht campen wir direkt auf einer Zeitzonengrenze. Links von Roger ist es eine Stunde später als rechts. Max beschließt das Schulzeit sich an der linken Seite orientiert.

Obwohl die ersten Frühlingsblumen am Wegesrand wachsen, ist es noch immer empfindlich kalt. Als wir im Joshua Tree Park campen, ist für den nächsten Tag Schnee vorausgesagt, es weht ein eisiger Wind, und der Himmel ist grau. Wüste plus Californien ist gleich warm, könnte man meinen. Stattdessen müssen wir unsere Wasserpumpen trockenlegen, damit sie nicht erneut kaputt frieren.
Wieder feuern wir den Ofen an, tragen Mütze und Handschuhe. Lottas Laune sinkt proportional zu den Temperaturen, wir befürchten eine Meuterei, die einzig unsere baldige Ankunft in LA aufhalten könnte.