Lake Superior

Batchawana Bay

Um sechs Uhr reißt mich der Wecker aus dem Tiefschlaf. Ich habe nicht gut geschlafen, die ganze Nacht hat der Regen aufs Dachfenster getrommelt, Donner, Blitz und dieser eine Gedanken hielten mich wach: Bitte kein Regen morgen, jeden Tag aber bitte nicht morgen. 

Es ist Paulas 12. Geburtstag. Wie schon erwähnt, bin ich generell bei jedem Geburtstag aufgeregt, möchte diesen einen besonderen Tag im Jahr möglichst kein enttäuschtes Gesicht sehen. Geburtstag auf Reisen stellt uns jedes mal wieder vor besondere Herausforderungen: Die Freunde und Familie, die wichtigste Zutat für einen schönen Geburtstag, sind weit weg. Die Geschenke fallen deutlich sparsamer aus, müssen den Filtern „haben wir Platz dafür“, „ist es reisekompatibel“ standhalten, irgendwann heimlich besorgt und bis dahin auf engstem Raum versteckt werden. Der Tag muss sich vom normalen Reisealltag unterscheiden. Das heißt für uns, die Schule fällt aus, wir fahren nicht viel, bleiben sogar wenn möglich an einem Ort, der im besten Fall besonders ist. Für Paula ist uns der Lake Superior, der größte Frischwassersee der Welt, gerade gut genug. Wir sind gestern den ganzen Tag gefahren, haben auf letzte Rille die Geschenke besorgt, könnten uns entspannen und auf einen schönen Tag freuen, wäre da nicht der Regen.

Draußen ist es bleigrau, dichter Nebel verschluckt den See, man kann ihn gerade noch erahnen. So leise es geht, backe ich den Geburtstagskuchen, Timm packt die Geschenke ein, bläst Luftballons auf, wir schmücken das große Fenster mit einer Happy Birthday Girlande. Beobachtet von einem Seeadler, schwimmen Timm und ich im See, gerade noch rechtzeitig, bevor eine Schlammlawine den angrenzenden Hügel heruntersaust und das glasklare Wasser in eine durchfallfarbene Brühe verwandelt. 

Paulas Augen leuchten, die Dekorationen, die Geschenke, der Kuchen, die Kerzen, alles scheint perfekt. Den Regen blenden wir aus, lassen den Morgen kuschelig beginnen. Wir frühstücken Croissants mit Nutella, hören ein Hörspiel, die Kinder malen, basteln, lesen, ab und zu machen wir ein Fenster auf, lassen die feuchte Luft raus und etwas Nebel rein.

Bis plötzlich Max flucht, weil seine Stifte immer Richtung Fenster rollten. „Stell sie in einen Becher, dann…Moment, warum rollen die überhaupt, wir stehen doch eigentlich ganz gerade!“ Mit einem Satz ist Timm, nur mit Unterhose bekleidet draußen im Regen. Mit den rechten Reifen stehen wir auf dem Teer eines kleinen Wendehammers, die linken stehen auf dem Strand, der zum Ufer hin etwas abfällt, deutlich abfällt inzwischen. Der starke Regen hat den Sand weggespült und so Roger in seine Schieflage gebracht. Wir stehen ca. 30cm im Wasser, die Straße an deren tiefsten Punkt wir stehen, hat sich in einen Fluß verwandelt. Plötzlich wird es hektisch. Roger kann nie sofort losfahren, wir müssen ihn eine Weile laufen lassen, bis sich genug Druck im Bremssystem aufgebaut hat. Timm muss seitwärts den Cube einschieben, rutscht immer wieder im Sand ab. Als wir endlich ein paar Minuten später auf sicherem Teer stehen, ist klar, dass wir hier nicht bleiben können und wir beschliessen, doch weiterzufahren, trotz Geburtstag. Paula ist enttäuscht, ich verfluche das Wetter, das Reisen und das Leben im Allgemeinen.   

Nur eine Stunde später reißt der Himmel auf, die Sonne macht einen zaghaften Versuch, ebenfalls zu gratulieren. Berge krabbeln aus dem Nebel, sattgrüner Wald so weit das Auge reicht. Der Highway windet sich am Seeufer entlang, bietet phantastische Blicke auf den See, in dem sich alle Farben des Himmels von südseeblau bis norddeutschgrau spiegeln. Wir machen eine kleine Wanderung zu einem Wasserfall, beschliessen, das der Lake Superior Provincial Park unsere Basis sein soll für die nächsten Tage, dass wir uns nicht wegbewegen von diesem wundervollen Ort. 

Lake Superior Provincial Park

Der Campingplatz am Lake Superior ist der Schönste, den wir bisher in Kanada gesehen haben. Mitten im Wald, direkt am Seeufer, um uns andere Camper, die genau deswegen hier sind. Denen es nichts ausmacht, dass die Abende schon kühl sind, die keine Fernseher brauchen, die spazieren gehen, wandern, Kanu fahren, die am Lagerfeuer sitzen und den Sonnenuntergang feiern. Wir feiern noch 3 Tage Paulas Geburtstag, hängen ihre Ballons in einen Baum. Timm bastelt am Auto, baut endlich Mückennetze für die Fenster der Kinder, ein Schuhregal, pinselt ein paar abgeplatzte Farbstellen über.

Die Kinder bauen über mehrere Tage an einer Miniaturstadt aus Sand, Steinen, und Pflanzenmaterial für ihre Autos, sind absolut glücklich und zufrieden. Als der Nachbar auf dessen Zufahrt sich ein Großteil der Stadt befindet sein Camp zusammenpackt um weiterzufahren, finden sich sofort eine Handvoll Leute, die ihn lotsen, damit er unter keinen Umständen das Kunstwerk beschädigt. Eine campende Waldorflehrerin fragt, ob unsere Kinder auch auf die Waldorfschule gehen, diese Art zu spielen kenne sie sonst nur von Waldorfkindern. Komisch, dass hinter allem immer eine bestimmte Pädagogik stehen muss, damit Leute es einordnen können. Als sich ihr sage, dass ich einfach nur eine gemeine Mutter bin und ihnen all ihr Spielzeug vorenthalte, möchte sie nicht weiter mit mir über Pädagogik reden.

Eine andere Nachbarin schenkt Paula, als sie hört dass sie gern malt ein paar Leinwände, den Jungs ein Puzzle mit kanadischer Herbstlandschaft, damit sie diesen Ort nicht vergessen. Sie unterhält sich lange mit Lotta, ermutigt sie, diese Reise künstlerisch festzuhalten, erzählt von ihrem Sohn der ebenfalls Künstler ist, darin seine Berufung gefunden hat. Sie selber malt auch, nur so aus Spaß und beneidet Lotta um all die Motive, die diese Reise ihr bringen würde. Am Nachmittag sitzt Lotta am See und zeichnet Paula, ihr bisher schönstes Bild. Und wieder wird mir bewusst, wie wenig wir es im Alltag schaffen, auf die Begabungen unserer Kinder einzugehen, wie sehr sich das Schulsystem auf die Schwächen der Kinder konzentriert, die es auszubügeln gilt, dass eine Matheschwäche mehr wiegt als künstlerisches Talent. 

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Irregeleitet von den sanften Sonnenstrahlen die durch den Morgennebel das Wasser beglitzern, springen Timm und ich bei frostigen zwei Grad in den See, werden den ganzen Tag nicht mehr warm. In nur 3 Wochen wird der Campingplatz für diese Saison schliessen, der Herbst ist uns dicht auf den Fersen. Wir müssen weiter, so schwer es uns fällt. Ursprünglich ein eher zufälliges Ziel entlang des Trans Canada Highways, lässt uns der Lake Superior nicht los. Stunden sitze ich einfach nur da, auf meiner Lieblingsbank, das Hochzeitsgeschenk eines Mannes an seine Frau Tracy, blicke auf den See, der die Eigenschaften aller mir bekannten Gewässer in sich zu vereinen scheint: Wildes Toben, sanftes Plätschern, eisige Tiefe, kristallene Lagunen, manchmal verschwindet er im Nebel, dann wieder brennt er in den Farben der untergehenden Sonne. Den Indianern ist er heilig, noch heute folgen viele der alten Tradition und hinterlassen Opfergaben am Seeufer, um den Geist des Wassers Misshepezhieu zu besänftigen. Im Nebel, so glauben sie kommen ihre Beschützer, die Donnervögel, um den bösen Geistern mit Hilfe von Blitz, Donner und Stürmen zu Leibe zu rücken. 

Noch heute kann man, sofern man sich traut den schmalen Felsvorsprung entlangzuklettern, alte Felsmalereien der Ojibwe bewundern, die Kanus, Schlangen und den gehörnten Misshepezhieu darstellen. 

Auch als wir längst im Auto sitzen, den Blick gegen Westen gerichtet, die Rocky Mountains als Ziel anpeilen, lässt uns der See nicht los. Immer wieder taucht aus dem Nichts die nächste malerische Bucht auf, der nächste Strand lädt zum „ein letztes Mal schwimmen“ ein. Und so halten wir wieder, machen alle 20 Minuten Pause, bleiben noch eine „letzte“ Nacht.

In Sandy Bay haben wir einen gesamten Strand für uns allein, schaffen es erst am späten Nachmittag uns loszureissen, kommen nur ein paar Kilometer weiter, halten nach einem kurzen Einkaufsstop in Marathon wieder am See, bleiben.

Als wir endlich, nach einer sehr kalten Nacht beschliessen, uns wirklich loszureissen, ist unsere Kreditkarte verschwunden. Nach langem Suchen stellen wir fest, dass Timm sie beim Geldautomaten in Marathon vergessen hat. Wir müssen also die mühsam erkämpften 100 km zurückfahren, bleiben wieder eine Nacht am See. Als wir dann am nächsten Tag unsere Karte von der Bankangestellten ausgehändigt bekommen, ist Timm nicht mehr zu halten, hat Fahrdruck. In 3 Tagen so sein Ziel werden wir in Calgary sein. Es sind nur 2500 km, mit Roger allerdings werden wir Zeit brauchen. Also stocken wir unseren Vorrat an Red Bull und Fahrsnacks auf, bereiten uns auf eine durchfahrene Nacht und mindestens zwei Fahrtage vor. 

Kanada

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