Nach 21 Monaten auf Reisen

15. April 2020: Es regnet die ganze Nacht, ununterbrochen trommeln dicke Tropfen aufs Dach. Immer wieder bin ich aus einem unruhigen Schlaf geschreckt. Als ich im Morgengrauen die Augen öffne, ist alles um mich herum schattenfarbig und anders als sonst bleibt das Grau den ganzen Tag. Im Himmel wie im Gemüt. Auf dem Vulkan Imbambura trohnt seit heute Nacht eine Schneemütze, es ist kalt geworden, mich plagen Magen, Darm und und Zweifel. Seit 4 Wochen sitzen wir nun nahezu unbeweglich auf der Finca Sommerwind fest. Und auch wenn wir jeden Tag dankbar sind um diesen Platz, wissen, dass es uns so viel besser geht, als so vielen anderen Overlandern, ist heute für mich der Gedanke an Unbeweglichkeit schwer zu ertragen. Heute schmelzen alle schwierigen Momente, die ich sonst weggelächelt habe zu einem riesigen Brocken zusammen, der mir den Ausblick Richtung Zuversicht versperrt. Solche Tage sind normal, ich wunder‘ mich tatsächlich, dass er einen Monat auf sich hat warten lassen. Wir sitzen fest, für jemanden der so freiheitsliebend ist wie wir und nicht gut mit Routine umgehen kann, eine ziemliche Challenge. Das Leben scheint aufgehört zu haben gelebt zu werden, ist ein einziger langer Tag ohne Gestern und Morgen.

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Bisher waren wir festentschlossen, das Beste aus der Situation zu machen. Wir stehen jeden Morgen früh auf, Timm meistens gegen 4.30 und arbeitet ein paar Stunden, bevor die Kinder für den Frühsport geweckt werden. An manchen Tagen fahren wir mit dem Fahrrad um die Lagune oder umjoggen sie, an anderen machen Timm und die Kinder die Übungen, die er mit seinem Physiotherapeuten Andrés in Costa Rica gemacht hat. Ich nutze die frühen Morgenstunden für Yoga, Meditation und zum Schreiben. Um 7.30 frühstücken wir, um 8 Uhr fängt die Schule an. Da die drei Großen schon sehr selbständig lernen, kann Timm nebenbei selbst arbeiten, ich mache mit Max Schule und räume nebenbei Roger auf, spüle das Geschirr, breite Mittagessen und Brotteig fürs Abendbrot vor, wasche unsere Wäsche. Gegen 12.30 sind die Kinder meist fertig mit der Schule und wir essen Mittag. Ab 14 Uhr ist meistens für alle Freizeit. Zeit, die sich zieht wie Kaugummi. Ich bin nach der Schule meistens etwas gereizt und genervt, versuche irgendwo Stille zu finden, Timm und die Kinder werkeln, basteln, spielen, aktuell bauen sie ein Baumhaus. Um 18.30 Uhr gibt es Abendbrot, meistens selbstgebackenes Brot mit Aufschnitt und Käse, danach spielen wir noch ein Spiel oder machen ein Lagerfeuer und um spätestens 20.30 liegen alle im Bett. Eigentlich unterscheidet sich unser Tagesablauf nicht so sehr von unserem Reisealltag. Auch an normalen Reisetagen müssen wir bis Mittags unterrichten, meistens unter sehr viel schwierigeren Bedingungen. Unser Essen ist deutlich leckerer, gesünder und vielseitiger als auf Reisen. Wir haben Platz, jeder kann sich zurückziehen und dem nachgehen, wozu er am meisten Lust hat. Es gibt keinen Zeitdruck. Warum also sind wir so unausgeglichen und deprimiert?

Weil es keinen Ausblick gibt, weil wir absolut keine Ahnung haben, wie lange es noch so geht. Weil wir nicht wissen, ob und wie es weitergeht. Weil stillsitzen ohne planen zu können so schwierig ist. Wir dachten schon, in Costa Rica wären wir ausgebremst gewesen. Tatsächlich waren wir dort nur auf Minimalgeschwindigkeit verlangsamt. Hier ist nun absoluter Stillstand. Das muss man erstmal aushalten, wenn die Hummeln im Arsch Amok laufen. Es ist gruselig, abhängig zu sein von den Nachrichten, die oft aus zweifelhafter Quelle zu uns gelangen, nicht rausgehen zu können, um sich selber ein Bild zu machen. In Guayaquil, der größten Stadt des Landes im Süden von Ecuador sind die Zustände dramatisch. Leichen stapeln sich auf den Straßen, die Bestattungsunternehmen können aufgrund der Ausgangssperre nur eingeschränkt arbeiten, das Militär muss helfen die Toten abzutransportieren. In ganz Ecuador haben die Menschen Angst, dass es in ihrer Provinz ähnlich schlimm werden könnte, was dazu führt, das einzelne Gemeinden sich abschotten, niemanden mehr rein- und rauslassen, Verbindungsstraßen mit Erdhügeln und Sandsäcken blockieren. Bisher spüren wir von all dem hier nichts, müssen uns aber darauf einrichten, dass es zu ähnlichen Zuständen auch hier kommen kann. Aus Peru hören wir, dass ebenfalls gestrandete Touristen angefeindet werden, dass sie außerhalb von Ortschaften von Polizei und Militär festgehalten werden tagelang ohne Zugang zu Wasser und Lebensmittel. Die Ausländer, so denkt man dort, sind Schuld an der Seuche, haben sie eingeschleppt. Ebensolche Meinungen scheint man in Argentinien und Chile zu haben. Auch in diesen Ländern ist es derzeit nicht angenehm, ein gestrandeter Overlander zu sein. Noch bemühen sich die Regierungen der europäischen Länder, zumindest ihre Landsleute zurückzuholen, aber auch diese Rückholflüge werden irgendwann eingestellt und uns ist bewusst, dass wir dann auf uns allein gestellt sein werden. Ob es im Verlauf des Jahres in den Nachbarländern sicher genug sein wird, wieder zu reisen, sollten die Grenzen in näherer Zukunft öffnen, wissen wir nicht. Wir wissen nichts, so wie der Rest der Welt nicht absehen kann, wie die nächsten Monate sich entwickeln werden. Weltweite Nachrichten jedenfalls machen wenig Hoffnung. Aber genau die brauchen wir, um hier weiter auszuharren.

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Wenn die Hoffnungslosigkeit zu schlimm wird, gehen wir inzwischen offline. Der Wochenbericht meines Handies hat diese Woche täglich drei Stunden weniger Onlinezeit zu verzeichnen, als noch in der Woche davor. Oft hilft es uns, uns nur auf das zu konzentrieren, was uns gerade umgibt, das, worauf wir tatsächlich Einfluss haben. Wir fragen uns dann, ob es in unserer kleinen überschaubaren Welt konkrete Anzeichen gibt, die Angst oder Hoffnungslosigkeit rechtfertigen. Meistens müssen wir uns eingestehen, dass wir Gespenster sehen. Unsere schlechte Stimmung wird allein durch Nachrichten ausgelöst, nicht durch das, was wir tatsächlich erleben.

Die Kinder sind glücklich und ausgeglichen, die Sonne scheint fast jeden Tag, die Nächte sind angenehm kühl. Statt von Mauern sind wir umgeben von Bäumen und Bergen, wir können sogar weit blicken. Die Luft ist frisch, es gibt keine Menschen in unserer Umgebung, bei denen wir uns anstecken könnten. Es ist alles gut, zumindest in unserem kleinen Universum. Und meistens können wir uns so beruhigen. Die Kinder beobachten uns, ihre Stimmung hängt zum großen Teil von unserer Verfassung ab. Umso wichtiger ist es, Zuversicht zu vermitteln, ihnen beizubringen, sich nicht von den Dingen in Panik versetzten zu lassen, auf die wir keinen Einfluss haben. Denn dann entsteht das Gefühl von Ohnmacht. Wann immer Hoffnungslosigkeit, Frust und Angst zu stark werden, versuchen wir, mit den Mitteln die uns zur Verfügung stehen dagegen anzugehen. Schulisch voranzukommen z.B. gibt den Kindern das Gefühl, am Steuer zu sitzen. Mir hilft Schreiben und Meditieren, Timm stürzt sich in Arbeit und Zukunftspläne. Es fällt mir schwer die Blogeinträge der vergangenen Wochen auszuformulieren, mich mit den „glücklichen Zeiten“ zu beschäftigen. Wie schnell sich alles geändert hat…

Manchmal wache ich mit einem Engegefühl in der Brust auf. Die Erkenntnis, das die Welt gerade dabei ist, sich grundlegend zu verändern ist dann schwer zu ertragen. Aber genau darum geht es gerade jetzt. Diese Gedanken zu ertragen, nicht wegzulaufen, sie nicht betäuben zu können. Der einzige Weg, der uns im Moment bleibt, ist mittendurch. Mittendurch durch die Angst, den Frust, die Zweifel. Es bringt nichts, sich aufzulehnen und alten Zeiten hinterher zu weinen, wir müssen das, was jetzt ist, annehmen und das Beste daraus machen. Wenn es gar nicht anders geht, dann versuchen wir, ins Tun zu kommen, selbst wenn es nur Bad putzen oder Gemeinschaftsraum fegen ist. Es geht einfach nur darum, gut durch den Tag zu kommen, Tag für Tag.

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Und so langsam, inmitten all dem Chaos zeichnet sich ein neuer Traum ab. Er ist noch ein bisschen verschwommen, wird aber Tag für Tag klarer und bunter, wächst zu einem Ziel, für das es sich lohnt, durchzuhalten. Wenn eine gesamte Weltbevölkerung so brutal aus dem Status Quo gerissen wird, dann -und dieser Gedanke kommt mir in letzter Zeit sehr häufig- birgt das auch eine große Chance für positive Veränderungen. Wirkt diese Pandemie auf uns vielleicht wie eine überstandene Krebserkrankung auf genesene Patienten? Werden wir unsere Freiheit vielleicht anders zu schätzen wissen? Werden wir respektvoller und liebevoller mit unseren Mitmenschen umgehen? Werden sich unsere Werte verändert haben? Werden wir unsere Einstellung zu materiellen Dingen ändern, wird es uns ein Bedürfnis sein, weniger kapitalistisch zu denken und zu handeln? Werden wir vielleicht risikofreudiger und entschlossener unseren Träumen und Herzen folgen und uns, in der Gewissheit wie schnell alles vorbei sein kann, nicht mehr mit Zwischenlösungen zufrieden geben? Wird uns der Lockdown Erkenntnisse bescheren, wie wir in Zukunft leben wollen, was wir verändern wollen? Werden wir die Zeit genutzt haben, gute neue Gewohnheiten zu etablieren? Vielleicht wird uns die Tatsache, dass uns einmal der Boden unter den Füssen weggezogen wurde mutiger machen? Vielleicht merken wir, wie sehr uns Komfortzonen ausbremsen? Vielleicht ist diese Krise ein Entwicklungskatalysator? Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass nach einer solchen Zeit unsere Beziehungen nicht eine andere Qualität bekommen haben werden, dass wir es nicht zu schätzen wissen werden, wieder mit unseren Lieben zusammensein zu können. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man nicht ein kleines Bisschen demütiger aufs Leben blickt, wenn einmal alles auf der Kippe stand. Und tatsächlich ist das meine allergrößte Angst: Das die Welt weiter macht wie vor Corona. Das wir nichts aus dieser schlimmen Zeit gelernt haben werden.

Es ist schon merkwürdig, dass ein Virus uns dazu zwingt über genau die Dinge, an der unsere Weltgesellschaft am meisten krankt, nachzudenken. Die Wirtschaft fährt herunter, die Natur erholt sich, die einzige Möglichkeit einigermaßen heil aus dieser Zeit herauszukommen ist, sich solidarisch und verantwortungsvoll zu verhalten. Wir gehen ja nicht allein in Isolation, um uns zu schützen, sondern auch, um unsere Mitmenschen nicht anzustecken. Wir werden gezwungen, uns all unsern Ängsten und Dämonen zu stellen. Menschen werden es auf verschiedene Art und Weise tun. Darin, wie sie es tun, liegt die Antwort, wie wir aus dieser Krise herauskommen, ob sie nur ein Fluch, oder auch ein bisschen eine Chance sein kann.

Ecuador Nach 1,2,3..Monaten

3 Comments Hinterlasse einen Kommentar

  1. Hallo Michaela,
    wenn es Situationen im Leben gab, auf die man keinen Einfluss hat, die man auch nicht ändern kann, dann hat mir immer der Spruch meiner Ex geholfen: „ Nimm es hin wie Schnee und Regen“.
    Dann hängt ihr vielleicht ein halbes Jahr darum, es gibt Schlimmeres im Leben, Hauptsache ihr bleibt gesund. Alles Grämen und Grübel hilft dir nicht und bringt euch keinen Schritt weiter. Son bisschen Richtung Buddhismus gedacht kann helfen.
    Ansonsten verfolge ich deine Berichte gespannt und mit Begeisterung und drücke euch beide Daumen.
    Liebe Grüße Jochen

  2. Einsichten brauchen Zeit,die wir nutzen können um gelassen zu bleiben. Hier wo ihr seid und überall. Das Hamstertad dreht sich weiter. Die meisten von uns drehen sich mit. Mit vielen Versprechungen aufgestiegen, eingestiegen ohne nachzudenken, Jetzt in der Zwangspause alle wie erstarrt, aber Angst lähmt. Wir Menschen selbst sind alle an dieser Situation beteiligt, da alle dieses. so mitgespielt, mehr immer von allem mehr weiter besser und aktiv wie es uns eingeblaeut wurde. Die meisten werden so wieder alles zurück haben wollen ,wie bisher. Ihr könnt ein gutes Beispiel geben, mit Unsicherheiten umgehen, und dass die Schattenseiten dazugehören. Ihr habt doch gezeigt wie es geht, mit dem Notwendigen auszukommen,mit der Natur und dieser im Einklang zu leben. Ihr könnt das. Es geht doch auch anders. Es ist unbequemer ja, aber gesünder . Einsichtigkeit ist in unserer Zeit kaum vorhanden, Aber immer wird es einige geben, die voraus gehen, den Wechsel wollen und Vorbilder sein. Ihr gehört dazu. Ihr und eure Kinder seid mitten drin im “ Aussteigen “ nicht aufgeben, weiter euren Weg gehen. Wünsche euch bleibt gesund ihr schafft das, da bin ich ganz sicher,die richtige Entscheidung zu treffen.

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