Tayrona National Park
Die Stadt Barranquilla, war, so lange Costa Rica noch nicht zur Debatte stand, lange der Ort, an dem wir Timms Rücken eine Pause gönnen wollten. Wir wussten nichts über diese Stadt, außer, dass es hier eine deutsche Schule gibt, dass es die viertgrößte Stadt Kolumbiens ist und dass sie am Pazifik liegt. Jetzt, als auf dem Weg Richtung Norden dieser Ort vor uns aus dem glühend heißen Staub auftaucht, bin ich heilfroh, hier nicht mehr als ein paar Stunden verbringen zu müssen.

Das einzig Bemerkenswerte an Barranquilla scheint der Karneval, der die Stadt jedes Jahr vier Tage vor Aschermittwoch in ein Tollhaus verwandelt. Er wird seit hundert Jahren gefeiert, steht angeblich dem in Rio in nichts nach und trägt seit 2003 den Titel „UNESCO Meisterwerk des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit“. „Ein absolutes Muss“ sagen die Reiseführer, „ein Bessernicht“, sagen uns Lokals, die wir zum Karneval befragen. Zu unsicher, zu viel Kriminalität, Drogen und Schlägereien. Ansonsten ist Barranquilla bedeutend als Hafenstadt, Industriestandort und als der Geburtsort von Shakira. Sogar ein Denkmal hat ihr die Stadt gesetzt. Wir sehen es uns nicht an, wollen so schnell wie möglich raus aus dieser Stadt, fahren weiter Richtung Norden.
Die sandige Ödnis weicht mangrovenbestandenen Lagunen, deren Schlick jetzt bei Ebbe in der Sonne glänzt. Zwischen den Städten Soledad und Ciénaga führt die Straße auf der Deichkrone entlang. Zu unserer Rechten blicken wir auf die flachen Lagunen der Ciénaga Grande, auf vereinzelte auf Pfählen gebauten Fischerhütten, zur Linken auf den Pazifik, der hier nicht himmelblau, sondern verwaschen grau erscheint. Diese Region ist eine der ärmsten Kolumbiens, und nicht einmal Himmel und Sonne sind hier großzügig, haben keine Strahlkraft, die Farben wirken stark verdünnt. Meine Augen schmerzen nicht mehr von Staub und heißem Wind, sondern von dem Anblick, der sich mir bietet: In den Pfützen, im von der Ebbe freigelegten Schlick, zwischen den grob gezimmerten Hütten, am Straßenrand, so weit das Auge reicht, modert Müll. Dazwischen Hunde und Geier, Menschen gehen spazieren als sähen sie es nicht, ein kleines Mädchen fährt auf einem zweirädrigen Dreirad. Es stinkt erbärmlich nach Fäulnis und Fisch. Vor uns hält ein Wassertransporter, füllt große blaue Plastiktonnen, welche die Anwohner von ihren niedriger liegenden Häusern hoch an den Straßenrand geschleppt haben mit Trinkwasser. Wir haben keine Chance, uns dem Anblick zu entziehen, müssen warten, mindestens 20 Minuten ist die Straße gesperrt. Ein paar Meter weiter werden drei Särge über die Straße getragen, dahinter ein nicht enden wollender Strom Trauergäste. Schwarz trägt hier niemand, alle sind jung, begleiten die Toten auf BMX Rädern, mit Mopeds, manche spielen Musik. Als wir endlich weiterfahren dürfen, ist mein Herz randvoll mit Hoffnungslosigkeit.
Erst kurz nach Sonnenuntergang erreichen wir Santa Marta, die erste dauerhafte Siedlung der Spanier im heutigen Kolumbien. Gegründet wurde sie 1552, von hier aus starteten die Raubzüge gegen die Tayrona Indianer, deren Goldschatz in den folgenden Jahren fast vollständig geraubt, zerstört und nach Spanien geschafft wurde. Die Indigenen flohen ins Hinterland, bedrohten die Stadt von dort aus mit Überfällen. Vom Meer aus trieben Piraten ihr Unwesen. Gegen diese Angriffe konnte die Stadt nur schwer wehren. Schnell überholte die Nachbarstadt Cartagen de las Indias, deren Hafen bessere Schutzvoraussetzungen erfüllte, Santa Marta als Handelszentrum und schickte sie in einen Dornröschenschlaf, aus dem sie heute erst mühsam erwacht. Wir erreichen sie erst spät, irren, von unserem Navigationsgerät verlassen, auf den Umgehungsstraßen herum. Bei Einbruch der Dunkelheit landen wir entnervt auf einem Truckerparkplatz. Seit wir mit Roger unterwegs sind, fühlen wir uns dieser Berufsgruppe in besonderem Maße verbunden. Mit ihnen teilen wir die rechte Fahrspur, kämpfen mit denselben Steigungen, verfluchen dieselben engen Kurven, niedrig hängenden Kabel und Äste. Wir können nicht überall parken, sind angewiesen auf größere Parkplätze, haben beide eine besondere Bindung zu unseren Fahrzeugen. Ihr Truck, das ist in Zentralamerika für viele Fahrer ein Statussymbol. Dementsprechend werden sie behandelt. Das Chrom glänzt stets frisch poliert, bunte Blinklichter stellen den Wiedererkennungswert auch im Dunkeln sicher, meterbreite Airbrushbilder geben Auskunft über Familienstand oder Glaubensrichtung. Das häufigste und beliebteste Motiv ist ein Jesus mit Dornenkrone, aber auch die Jungfrau Maria oder ein Bildnis der eigenen Familie sind beliebt. Auf jedem Truckerparkplatz befindet sich neben einem Restaurant und einer Sammelstelle für “Gesellschaftsdamen“ auch eine Möglichkeit, den LKW auf Hochglanz polieren zu lassen. Neben einer solchen Waschanlage parken wir diese Nacht, umgeben von alten Ölfässern, ausgemusterten Kühlaggregaten und dem Geruch von Abwasser.
Der Truckstop führt den ziemlich euphemistischen Namen „Ecooasis“ und das einzige, das uns hier irgendwie „ökologisch“ erscheint, ist die Tatsache, dass alles hier frei vor sich hinrotten darf. Saubere Duschen hatte die IOverlander App angekündigt und auf der Suche nach diesen verfranse ich mich heillos zwischen dem Durcheinander aus Schrott, Ölfässern und baufälligen Gebäuden. Ein Mitarbeiter führt mich an die Rückseite eines solchen Gebäudes. Hier ragt ein Rohr aus der bröckelnden Wand, ein Kantholz verhindert, dass man im Schlamm versinkt, abgeschirmt vom Parkplatz werde ich von einem großen ausgemusterten Tank und einer Menge Schrott. Als ich mir am nächsten Morgen hier die letzten Reste Vulkanmatsch aus den Haaren spüle, kann ich dabei durch die lichten Blätter eines Busches die Bauarbeiter auf der Baustelle jenseits des Zaunes bei der Arbeit beobachten. Im Busch hängen aus sehr offensichtlichen Gründen zurückgelassene Unterhosen vorheriger Duscher, zu meiner Rechten steht eine ausgemusterte Kloschüssel. Ein Platzwart luschert um die Ecke, versichert, dass er aufpassen wird, dass niemand kommt.
Nach den letzten Wochen in Panama, auf dem Katamaran und in Cartagena haben wir Sehnsucht nach Einsamkeit, nach einem Platz, an dem wir uns in Ruhe wieder in Roger zurechtrascheln können und beschließen die Besichtigung von Santa Marta zu verschieben, fahren weiter zum Tayrona National Park. Hier treffen die nebelwaldbedeckten Ausläufer der Sierra Nevada de Santa Marta, dem höchsten Küstengebirge der Welt, auf von türkiser Brandung überspülte Korallensandstrände. Nirgends sonst auf der Welt treffen so hohe Berge (die beiden höchsten Gipfel des pyramidenförmigen Gebirgsmassivs erreichen 5775m) auf den Ozean. Diese Küste, die einstige Heimat der Tayrona Indianer, ihrem Namensgeber, ist der älteste Nationalpark Kolumbiens, umfasst eine Fläche von 120 Quadratkilometern und scheint ein Paradies auf Erden. Auf rundgewaschenen Monoliten sonnen sich Iguanas, Pelikane schießen jenseits der Brandung, senkrecht ins Wasser, Kokosnüsse liegen auf dem Strand verstreut. Die Strömung hier ist gewaltig, der Strand ändert jeden Tag seine Form und Baden ist unmöglich, was aber weder die Kinder noch uns stört. Der eigentliche Park ist leider bis Ende Februar geschlossen, der Grund ist, so wird uns gesagt, dass zu dieser Zeit einige indigene Völker hier wichtige Rituale vollziehen. Wir finden einen Campingplatz direkt an der nördlichen Grenze zum Nationalpark, parken unter Kokospalmen mit Blick auf die schäumende Brandung. Außer ein paar Surfern traut sich jetzt niemand ins Wasser. Als wir allerdings zwei Wochen später erneut ein paar Tage hier verbringen, ertrinken um Haaresbreite drei Teenager, werden im letzten Moment von ein paar mutigen Surfern gerettet, während die Eltern betend und schluchzend am Strand stehen.
Ich beseitige die letzten unordentlichen Reste der Verschiffung, Lotta zeichnet und häkelt, macht freiwillig am Wochenende Schule. Die Jungen basteln Boote, wir machen lange Spaziergänge am menschenleeren Strand. Außer uns ist hier nur eine Gruppe spirituell Suchender aus Übersee, die in weißer Kleidung schamanische Rituale am Strand abhält, nachts mit Rasseln und Trommeln den Mond begrüßt und ansonsten selig lächelnd die Magie des Ortes genießt. Es ist schwer, sich nach ein paar Tagen wieder loszureißen, aber nachdem wir ein paar Abende zum Sonnenuntergang von einer Aussichtsplattform aus den Blick auf die Gebirgszüge der Sierra Nevada de Santa Marta genossen haben, zieht es uns dorthin- hoch in die Berge, in denen angeblich der beste Kaffee Kolumbiens gedeiht, hoch in die Heimat der Kogui und Arhuaco Indianer.
Viele Abenteuer , das noch auseinander zuhalten geht nur mit Wochen -Tagebuch Notizen aber vieles bleibt an besonderen Eindrücken, schön zu lesen, wie ihr mit viel Glück weiterkommt.