Playa Las Lachas
Pünktlich am 10.01, am Tag, an dem unser Costa Rica Visum ausläuft, stehen wir an der Grenze zu Panama, oder zumindest an dem Punkt, an dem wir die Grenze vermuten. Auf unsere Frage, wo sich das Immigrationsgebäude befindet, hat jeder eine andere Antwort. Irgendwann fasst sich ein Parkwächter ein Herz, zeigt uns den Weg und wir überlassen ihm dafür Roger als Mündel. Panama und wir, das ist nicht Liebe auf den ersten Blick. Vielleicht liegt es daran, dass sich alles in uns sträubt, unser geliebtes Costa Rica zu verlassen, vielleicht daran, dass scheinbar auch Panama uns nicht will. Der Grenzübergang ist einer der langwierigsten, unübersichtlichsten und aufreibendsten unserer bisherigen Reise. Wir warten Stunden, werden zwei Mal durchsucht, brauchen ewig, bis wir uns durch das Chaos gewurschtelt haben.




Panama, das merken wir schon nach wenigen Stunden, ist die weniger hübsche Stiefschwester von Costa Rica. Und weil sie das weiß, ist sie weniger freundlich, gibt sich ein bisschen ruppig, versucht, auf andere Weise auf sich aufmerksam zu machen. Mit Lautstärke zum Beispiel.
Wir gelten als relativ unerschrocken, in Panama allerdings treibt mir eine alltägliche, unscheinbare Handbewegung die Schweißperlen auf die Stirn: das Öffnen eines Kofferraumes. Wir sind aus Costa Rica gewöhnt, dass zu einem vollendeten Wochenende eine Menge Musik gewöhnungsbedürftigen Geschmacks in ebenso gewöhnungsbedürftigen Dezibelwerten zählt. In Panama allerdings wird jene Musik nicht nur in gesundheitskritischen Lautstärken, sondern auch zu äußerst schwierigen Zeiten gespielt, nämlich die ganze Nacht. Ursprung des Nerventerrors sind gigantische Boxen, die meist den ganzen Kofferraum ausfüllen und dazu führen, dass der Rest des Gepäcks abenteuerlich gestapelt auf dem Dach transportiert werden muss, die Oma auf dem Schoß der Schwiegertochter sitzt, die Kinder im Fußraum. Immer wieder kann ich nicht glauben welche Massen an Gepäck und Menschen hier ein Kleinwagen ausspuckt.

Unser erstes Camp nach dem Grenzübergang schlagen wir an Panamas längstem Sandstrand, dem Playa Las Lachas auf. 12km ununterbrochener, palmengesäumter weißer Sandstrand.




Es ist Freitag Nachmittag, wir werden, noch bevor wir uns annähernd in dem kleinen Ort orientiert haben, auf eine große Wiese mit Meerblick gelotst. Wir können unser Glück kaum fassen, beschließen, das ganze Wochenende zu bleiben, und zahlen bis Montag früh.

In Panama, das aufgrund des Panama Kanals zu der am schnellsten wachsenden Wirtschaften Lateinamerikas zählt, ist die offizielle Landeswährung US$, das Preisgefüge ähnelt ebenfalls dem der USA. Und das, obwohl die Einkommensverteilung Panamas eine der ungerechtesten Lateinamerikas ist. Wir schlucken also ein bisschen bei der Campinggebühr für unseren Wiesenstellplatz (ohne Klo und Duschen), beschließen aber, uns einfach über den Strand vor unserem Fenster zu freuen. Am Samstagmorgen sind wir alle früh wach. Lotta und Timm gehen am Strand joggen, ich rolle meine Yogamatte unter einer der schattenspendenden, mit Palmblättern gedeckten Ranchos am Strand aus.




Endlich wieder Zeit und Ruhe für eine ausgiebige 80 Minuten Sequenz… Bis Minute 35 bin ich glücklich und entspannt, dann spuckt ein Reisebus mit Reifenpanne seine menschliche Ladung am Strand aus und aufgrund Ermangelung anderer Attraktionen setzen sich geschätzte 50 Rentner im Halbkreis um mich, beobachten mich bei meinen Bemühungen, Körper und Geist in Einklang zu bringen. Bierdosen werden zischend geöffnet, es wird diskutiert, ob das gesund ist, manchmal lacht jemand, ich höre die Auslöser von Handykameras, halte krampfhaft meine Augen geschlossen und konzentriere mich darauf, meinem Fluchtreflex nicht nachzugeben. Ich bin Lichtjahre entfernt von den grazilen Bewegungen der Yogalehrer auf dem Handybildschirm, plumpse immer wieder unelegant aus meiner Verbrezelung. Entspannt bin ich mitnichten, als ich mich nach den 80 Minuten aus einem sehr kurzen Shavasana (der Endentspannung, bei der man mit geschlossenen Augen auf dem Rücken liegt) erhebe, bin aber stolz auf den Triumph über meine Angst, mich öffentlich zum Horst zu machen. Tat gar nicht so weh- „Nolimits!“ wieder ein Stück näher gekommen!

Die ausgebliebene Entspannung am Morgen macht sich dann am Mittag negativ bemerkbar, als Scharen von Strandbesuchern „unser“ Paradies stürmen. Jeder Kofferraum spielt seine eigene Hymne, allen gemein ist ein wummernder Bass, der unsere Herdabdeckung vibrieren lässt und die Alarmanlagen aller umstehenden Autos auslöst. Niemanden stört das. Ich fühle mich schrecklich deutsch in meiner Wut über die Ruhestörung, kann den Egoismus der Panamesen nicht fassen, ihre Mitmenschen mit von Stadiontröten unterbrochenem Frauengestöhne zu beschallen. So geht das die nächsten 24 Stunden. Wir schlafen nicht, flüchten am Sonntag mit einer ungeheuren Wut im Bauch, finden Panama und die Panamesen insgesamt doof, können uns gegen unser Urteil, Panama nur noch als Durchreiseland zu sehen, nicht mehr wehren. Wir finden keinen Supermarkt, keinen Platz, an dem wir den schulfreien Tag genießen könnten, parken kurz vor Sonnuntergang auf einem kleinen Parkplatz mit Blick auf schlickiges Mangrovenwatt in Salado. Ab und zu weht ein fischiger Geruch von den Salzgewinnungsbecken, die dem Ort ihren Namen gaben durch die offenen Fenster. Es ist unerträglich heiß und stickig, das einzige bisschen Luftbewegung entstammt dem, wie sollte es anders sein, Bass aus Kofferraumboxen eines Autos, das als wir gerade wegschlummern, neben uns parkt und uns mit Musik und Discolicht eine weitere Nacht wach hält. Gerade als wir, gestresst von Hitze, Lautstärke und einem unproduktiven Schulmorgen beschließen, dass Panama auf unserer „doofe- Reiseländer- Liste“ gleich hinter Äthiopien auf Platz zwei stehen soll, klopft zaghaft eine Nachbarin, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite wohnt, an Rogers Tür. Ob wir etwas brauchen, ob wir ihre Dusche oder Waschmaschine benutzen möchten, fragt sie. Und woher wir kommen möchte sie wissen. Ein Mann bremst mit seinem Pick-up neben uns, schenkt uns eine Plastiktüte voller Limonen, um Limonade zu machen, ein Rentnerpärchen dass ein paar Hundert Meter die Straße Richtung Süden wohnt, bringt Orangen, sitzt bestimmt eine Stunde mit Timm auf der Bank mit Blick auf die Mangroven und möchte wissen, wie es ist, ein so unstetes Leben zu führen. Wie es die Kinder verdauen, immer wieder an anderen Orten aufzuwachen. „Gut“, entgegnet Timm. „Zumindest wenn sie die Nacht zuvor nicht von wummerden Bässen wach gehalten wurden“. Und zum ersten Mal seit mehr als 24 Stunden können wir wieder herzlich lachen. „In Panama findet man immer einen Grund zu feiern und zu tanzen“, lächelt die Oma und in mir versteckt sich der bis eben mit den „Benimmregeln für ein rücksichtsvolles Miteinander“ wedelnde Anzugträger in der hintersten Reihe und schaut verschämt auf die in vorderer Reihe tanzenden, mit Limonen jonglierenden Panameños.