Von Tikal nach Antigua

Google Maps gibt für die Strecke von Belize nach Antigua 10 Stunden 35 Minuten an, wir brauchen mehr als vier Tage. Weil wir gelesen haben, dass beide Teerstraßen Richtung Antigua in erbärmlichem Zustand sind, weil vom Pazifik dunkle Wolken, eine Hurrikanwarnung und damit verbunden das Risiko von Erdrutschen droht, entschließt Timm, keinem der Routenvorschläge zu folgen, sondern selber einen Weg zu finden, wieder hannibalmäßig, mittendurch. Eine Abkürzung für die wir eigentlich keine Zeit haben, weil in zwei Tagen unser Spanischkurs in Antigua starten soll.

Koreaner, so habe ich mal gelesen, haben kein Gen für Achselschweißgeruch, wir dafür umso mehr. Es ist drückend schwül, immer wieder klatsche ich auf scheinbare Krabbeltiere irgendwo auf meinem Körper, immer wieder ist es nur ein Schweißtropfen, der mich auf seinem Weg kitzelt. Bei jeder Bodenwelle stoßen wir in der Fahrerkabine zusammen, schwitzen uns gegenseitig voll. Meine seit inzwischen zwei Wochen ungewaschenen Haare kleben mir wenig dekorativ am Kopf, die Allergie flammt an Armen und Beinen wieder auf, Lotta hat Bauchschmerzen und Timm zuckt bei jedem Strassenhubbel, der Schmerzen wie Blitze durch seinen Rücken und das rechte Bein jagt, zusammen. Gefühlt ist das alle paar Sekunden, flächendeckend bröseliger Asphalt, plötzlich auf der Straße stehende Tiere, anhaltende Busse, Händler am Straßenrand zwingen uns immer wieder plötzlich zu bremsen, Kuppeln ist Schwerstarbeit.

Unter Vordächern oder Bäumen sitzen Familien auf Platikstühlen, an den unmöglichsten Orten sind Hängematten aufgespannt, am Wegesrand leuchten Blumen und Plastikmüll, suhlen sich Schweine in den Pfützen vom letzten Regen. Im Gras, auf Zäunen oder von Dächern hängend trocknet frisch gewaschene Wäsche, ein Kind im Grundschulalter galoppiert auf einem viel zu großen Pferd ohne Sattel an uns vorbei, Pick-ups und Laster ächzen unter ihrer schweren Menschen- oder Güterlast, viele Fahrzeuge haben dunkel abgeklebte Windschutzscheiben und ich hoffe jedes Mal, dass wir uns innerhalb des „Apple-“ oder Batmanauschnitts im Sichtfeld des Fahrers befinden. Auf heißen Ton- oder Steinplatten backen Frauen mit bauschigen Röcken und Baby auf dem Rücken Tortillas, andere balancieren riesige Bündel auf dem Kopf, überall abgemagerte Strassenhunde, viele lebend auf der Suche nach Futter, andere aufgebläht am Straßenrand- Futter für Erstere.

Wir überqueren baufällige enge Brücken, mit einer Fähre den Rio de la Pasión, machen im kleinen Ort Sayaxché Pause, essen frittiertes Hähnchen, lächeln, grüßen und winken zwischen den fettigen Bissen.

Nach 5 Stunden sind wir keine 20 Kilometer gefahren, der Asphalt weicht steinigem Schotter, die Strassenbreite halbiert sich, es beginnt zu regnen. Manchmal, und das ist Timms Argument dafür, dass wir uns noch immer auf einer Straße befinden, kommt in halsbrecherischem Tempo ein „Chickenbus“ um die Kurve gekachelt. Ihren Namen haben die in den Staaten ausgemusterten und bunt bemalten Busse von der Tatsache, dass einem Passagier ähnlich viel Platz wie einer Legehenne in einer Legehennenfarm zusteht. Ausweichen ist schwierig, zur Seite geht es viele Meter steil bergab, rückwärts fahren müssen wir oft, und zwar um die Kurve am Abgrund entlang. Je höher uns die Straße die Berge hinaufführt, desto kühler wird es und die Tatsache das die Luft wieder atembar ist, entspannt die Stimmung im Truck. Am Straßenrand schneiden Männer mit Macheten frisches Grün für ihre Tiere, als es anfängt zu regnen, bauen sie sich einen Regenponcho aus den zahlreich am Wegesrand hängenden Wahlplakaten und schneiden unverdrossen weiter. Immer wieder bieten sich uns atemberaubende Blicke auf Kaffee- Mais-, und Zuckerrohrfelder. Mais als das Grundnahrungsmittel wird auf jedem verfügbarem und nicht von Kaffeepflanzen besetzten Quadratmeter angebaut. Und doch reicht die Ernte nicht, um die Bevölkerung zu ernähren. Ein Großteil des Maises wird aus den USA importiert und seit aufgrund der steigenden Nachfrage nach Biodiesel der Bedarf innerhalb der USA gestiegen ist, kam es zu Engpässen und zu Unterversorgung besonders der armen Landbevölkerung.

Die erste Nacht seit langem hält uns kein nächtliches Schwitzen wach, ausgeruht wachen wir früh am nächsten Morgen auf, bereit, den letzten Teil der Strecke bis Antigua zu bewältigen, so der Plan, der uns leider wieder durchkreuzt wird. Als wir um 8.30 nach nur 15 Kilometer Fahrt in Cobán ankommen, stellen Polizisten gerade auf allen Ein-und Ausfallstraßen Zäune auf. Aufgrund eines Marathons sitzen wir hier bis 12 Uhr mittags fest. Zunächst versuchen wir noch einen Weg hinaus zu finden, fragen Busfahrer, bieten Taxifahrer Geld an, wenn sie uns einen Schleichweg zeigen, fragen Polizisten-ohne Erfolg. Irgendwann geben wir auf, beschließen dieses Volksfest einfach mitzufeiern und mittags weiterzufahren. Lotta hat keinen Bock, bleibt im Auto, braucht ein paar Stunden für sich. Kaum sind wir in den jubelnden Menschenmengen verschwunden, rammt ein Bus beim Rückwärtsfahren Rogers Seite, Lotta steht hilflos und fluchend im Eingang, kann nichts machen außer dem seitlich aufgeschlitzten Bus hinterherzublicken. Roger, das stellen wir bei unserer Rückkehr fest, hat keine Schramme, wir erinnern uns wieder an Rogers Arbeitstitel während der Bauzeit: Reisepanzer!

Über steile Pässe, durch Flüsse, führt uns die enge kurvige Straße durch hübsche Dörfer, durch wunderschöne Landschaften. Den Großteil des Tages verbringen die Kinder auf dem Dach und am Ende eines ganzen Fahrtages haben wir gerade einmal 120 kmh geschafft und erreichen mit dem letzten Licht des Tages den Ort Santa Cruz El Chol. Auch hier scheinen alle Straßen gesperrt und bevor wir uns versehen, befinden wir uns im Festumzug mit geschmückten Wagen, von denen verkleidete Damen Süßigkeiten in die Menge werfen. Es ist der Tag der „Juegos Magisteriales“, so weit ich verstehe ein Wochenende zu Ehren der Lehrer, an dem die besten ihres Berufszweigs oscarverleihungsähnlich gewählt werden. Es ist in jedem Fall eine riesen Gaudi und uns wird als einzig waagerechte Campingmöglichkeit des hübschen Bergdorfes der Platz neben der Festhalle zugewiesen. Beschallt von Autoscootermusik, beleuchtet von einer eindrucksvollen Lichtshow und bepinkelt von einem Großteil der männlichen Bevölkerung des Ortes. Wir stehen neben einem Sandhaufen, etwas abseits der Festhalle und im Fünfminutentakt erleichtern sich die Herren unter Lottas Kojenfenster. Dass ich nur zwei Meter weiter auf der Leiter sitze und Kaffee trinke stört niemanden und als ich eigentlich zur Abschreckung das Außenlicht anmache, wird dies mit einem „Muchos Gracias“ zum bierseeligen Lächeln begrüßt. Wen stört da schon ein bisschen Pipi am Reifen?

Am nächsten Morgen sind wir um sechs Uhr wieder unterwegs, scheinbar mit der gesamten Bevölkerung des Tales. Es herrscht reges Treiben auf der staubigen Piste, alle sind auf dem Weg irgendwohin: Zu sechst auf dem Mofa ohne Helm, seitlich aus dem Bus hängend, auf der Ladefläche eines Pickups, selbst auf dem Busdach zwischen Weidenkörben und Feuerholzbündeln wird gereist. Von El Chol nach Antigua fahren wir fast noch einmal sechs Stunden, bekommen beim Einkaufsstop eine Blumenvase als Erinnerung geschenkt und am Ende eines weiteren Tages ununterbrochenem Bremsens und Kuppelns kann Timm sich bei unserer Ankunft in Antigua vor Beinschmerzen  kaum noch auf diesen halten.

Guatemala

1 Comments Hinterlasse einen Kommentar

  1. Sehr abenteuerlich, etwas für starke Nerven, vor allen Dingen auch für die Abenteuer erprobten Kinder, ihr seid schon sehr mutig. Anderseits werdet ihr mit einem gewissen Stolz zurückblicken und eine korrigierte Einstellung auf das Leben an sich gewinnen. Meine Bewunderung habt ihr, mr gefällt eure Reisebeschreibung sehr gut, da ihr auch die Schwierigkeiten erwähnt, die immer mal wieder auftreten können, die zu bewältigen sind.Wie ihr das zusammen meistert, ist schon großartig. Wünsche euch weiterhin alles Gute.

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