Placencia

Belize ist klein und überschaubar, selbes gilt für die Hauptstadt Belmopan. Zwar ist Belize City mit 63.000 Einwohnern die größte Stadt des Landes, nachdem sie aber 1961 von einem Hurrikan zu 75% zerstört wurde, beschloss man, eine neue Hauptstadt an einem sichereren Ort zu errichten. 10 Jahre später wurde der Regierungssitz nach Belmopan (der Name ist zusammengesetzt aus den Namen der Flüsse „Belize“ und „Mopan“ ) verlegt. Ursprünglich für 40.000 Einwohner geplant, bringt es die Stadt aufgrund des heißen und schwülen Klimas heute erst auf 23.000 Einwohner. Irgendwo lese ich, dass die Trockenzeit nur 2 Monaten dauert, von Mai bis Februar regnet es. Wieder einmal Ausnahmewetter- dieses Mal im positiven Sinn. Belmopan versprüht trostlose Kleinstadtatmosphäre, nicht viel, an dem unser zugegebenermaßen verwöhntes Auge hängen bleibt: Auf dem Hauptkreisel steht ein Uhrenturm, der zur vollen Stunde die Klänge von Big Ben abspielt und auch hier ist jeder einzelne „Supermarkt“ in chinesischer Hand. Warum das so ist, möchte Timm von Mama Han, die in einem Supermarkt mit angeschlossener Tankstelle das Zepter schwingt, wissen. „Weil die Chinesen dorthin gehen, wo die Leute faul sind“, ist ihre Antwort. Bereits auf unserer Afrikareise ist uns aufgefallen, dass an den entlegensten Stellen in Sambia plötzlich Straßen von chinesischen Bauunternehmen gebaut werden, Supermärkte chinesisch geführt werden und sogar die Straßenschilder chinesische Schriftzeichen tragen. Wo der Westen weicht, übernimmt Fernost. Immerhin gibt es in ganz Belize nicht einen einzigen McDonalds.

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Über dem Hummingbird Highway, eine der schönsten Straßen Mittelamerikas fahren wir Richtung Dangria. Die Straße windet sich durch Obstplantagen, Microdörfer, durch dichten Dschungel, über dem Nebel hängt. An den Straßenrändern immer wieder Transparente, die für ein „Ja“ zum Referendum des seit langem schwelendes Grezkonfliktes zwischen Belize und Guatemala werben. Entscheiden sollen die Belizer über die Frage, ob der Streitfall vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag entschieden werden soll. Guatemala beansprucht knapp die Hälfte des Territoriums von Belize, obwohl es 1981 Belizes Unabhängigkeit von Großbritannien anerkannte. Im damaligen Vertrag verpflichtete sich England, beim Bau einer Straße zwischen Guatemala-Stadt und der karibischen Küste zu helfen. Dies geschah allerdings nicht und daher erklärte Guatemala den Grenzvertrag für nichtig. Während die Guatemalteken schon 2018 mit 95% für eine Verhandlung vor IGH stimmten, steht in Belize diese Abstimmung noch aus. In der Zwischenzeit lernen guatemaltekische Schulkinder noch, dass ein Großteil Belizes zu Guatemala gehört.

Noch immer hadern wir mit der Entscheidung, nicht auf die Ceyes gefahren zu sein, Lotta flunscht über die ausgebliebene Inselpause- und da lesen wir im Lonely Planet von Placencia. Von der Tourismusindustrie wird diese 25km lange Halbinsel als „der einzige Ceye auf den man fahren kann“ beworben. Karibikflair, ohne Roger stehen lassen zu müssen, ohne uns an Hotels doof zu bezahlen, ohne packen zu müssen mit der Möglichkeit jede Sekunde weiterzuziehen, kling perfekt.

In den frühen 2000ern wurde Placencia von einem Hurrikan verwüstet, jetzt allerdings ist davon nichts mehr zu sehen, im Gegenteil. Im Nordteil der „Insel“ reihen imposante Villen und Hotelanlagen in verschiedensten Baustadien die einzige Straße. Jedes zweite Grundstück ist zu verkaufen, sie alle haben Wasserblick- im Osten der Hauptstraße  glitzert das karibische Meer, im Westen das Wasser der Placencia-Lagune. Fast ist mir nach Umdrehen: Ich hatte ein Fischerdörfchen erwartet, nicht nordamerikanische und europäische Touristen und Expats die mit Golfcarts zum Einkaufen fahren.

Während wir bei Schwierigkeiten und unwirtlichen Orten ziemliches Durchhaltevermögen an den Tag legen, einiges über uns ergehen lassen können, schlägt uns das kleinste Zeichen von Massentourismus sofort in die Flucht. Zu Unrecht! Es hat einen Grund, warum bestimmte Orte so beliebt sind. Oft sind sie besonders schön. Dieser Ideologienkampf zwischen Globetrottern und Pauschaltouristen, die snobistische Grundhaltung, mit der viele Langzeitreisende oft auf Kurzzeittouristen hinabblicken, ist etwas, dass ich mir in Zukunft dringend abgewöhnen möchte. Sie führt zu nichts, ist intolerant und nicht eine Haltung, die ich vor mir selber vertreten kann. Auch dieses Mal hätte mich mein „Massentourismusfluchtinstinkt“ fast von einem der schönsten Plätze der karibischen Küste ferngehalten. Zum Glück glaubt Timm nicht an Umdrehen, bevor das Ziel erreicht ist, und das Ziel ist Placencia Village am südlichsten Ende der Halbinsel. Placencia ist alles und noch viel mehr, was ich mir von einem idyllischen Fischerort erträumt habe. Zwar sind die Spuren des Tourismus in Form von Souvenirshops, Restaurants und lärmenden Bars nicht auszublenden, stören tun sie aber nicht wirklich.

Was allerdings enorm stört, und was ich nicht mehr ausblenden kann, sind die optischen Spuren, die das ständige Schwitzen an mir hinterlassen hat. Mein ganzer Körper ist übersät von juckenden Pusteln und erhabenen Striemen, die mich nachts nicht mehr schlafen lassen. Es wird von Tag zu Tag schlimmer. Ich fühle mich ekelhaft. Auch der neue Name, den die Kinder mir gegeben haben, trägt nicht gerade zu meinem Wohlbefinden bei: Butterbirne. Seit Tulum habe ich mir, inspiriert von Camille, die die schönsten Haare des Planeten hat, nicht mehr die Haare gewaschen. No-Poo, kurz für „No Shampoo“, hat, wie fast alle Strömungen in den USA ihren Ursprung. Camille wäscht sich seit 18 Monaten die Haare nur noch mit Wasser, benutzt kein Shampoo, nur ganz selten eine Spülung. Der Übergang, hatte sie mich gewarnt, ist fürchterlich. Nach 8 Wochen allerdings sei das Schlimmste überstanden. Dann hätten sich Haare und Kopfhaut auf die neue Situation eingestellt und man ist ein für alle mal unabhängig vom Shampoo. Meine Kosmetiktasche ist seit einigen Jahren immer übersichtlicher geworden. Als ich allergiebedingt für ein paar Monate auf nahezu jede Kosmetik verzichten musste, habe ich festgestellt, dass ich den ganzen Schiet tatsächlich nicht brauche, dass er nur Platz wegnimmt und Geld kostet, beides Güter, die man sinnvoller nutzen kann. Der schweiß- und fetttriefenden, pustelübersäten Frau, die mich heute aus dem Spiegel anblickt, möchte ich jedoch nicht allzu oft begegnen. Tapfer stecke ich mir eine frische Hibiskusblüte in den fettigen Dutt. Weiter geht‘s, nur nicht schlapp machen!

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In Placencia holen wir nun all das nach, was wir uns für die Ceyes vorgenommen haben: Timm und die Mädchen gehen tauchen, das erste Mal auf 18m Tiefe, schwimmen mit Wasserschildkröten, Mantarochen und Haien. Weil auch die Jungen diese Unterwasserwelt sehen sollen, machen wir einen weiteren Ausflug, fahren zusammen mit einer brasilianischen Familie mit der wir uns schon seit langem schreiben, auf eine der Riffinseln, schnorcheln zwischen unwirklich bunten Fischen und Korallen, Rochen gleiten wie fliegend durchs Wasser, eine uralte Wasserschildkröte blickt uns aus weisen Augen entgegen, Riffhaie, die von allen Seiten unter uns durchtauchen, kitzeln mit ihren Rückenflossen unsere Bäuche. Die Zeit steht still, unter Wasser gibt es keine Hektik, kein Geräusch stört, nichts und niemand drängt. Am Abend feiern wir diesen gelungenen Tag im Restaurant, Max hat einen Sonnenstich und kotzt auf den Tisch…

In Sekunden bin ich hellwach, setze mich im Bett auf. Draußen hallen Schreie, jemand rennt über den Kies des Parkplatzes, auf dem wir stehen. Weitere Schreie, Glas splittert, ein dumpfer Knall. Im Halbdunkel sehe ich zu Rogers linken Seite die Umrisse von einer Gruppe junger Männer. Sie werfen Steine und Flaschen auf eine Gruppe, die sich zu unserer rechten Seite befindet, Roger steht mittendrin. Das erste Mal auf dieser Reise habe ich richtig Angst, wecke Timm. Auch die Kinder reiben verschlafen die Augen. „Weg von den Fenstern, kein Licht an“, ist das Einzige, was mir einfällt. Plötzlich fällt ein Schuss, Panik, die Gruppen rennen in alle Richtungen, Schreie, Flüche, wir kauern uns auf den Boden, so weit wie möglich zwischen die Schränke und weg von den dünnen Außenwänden. Warten. Absolute Stille, von weitem etwas Gepöbel. Nach einer gefühlten Ewigkeit wagen Timm und ich einen Blick aus dem Fenster, sehen nur eine Gruppe aufgebrachter junger Männer in einiger Entfernung, ansonsten Ruhe. „Wow, dann mal wieder ab ins Bett“, Timm hat sich schnell wieder gefasst. Ich kann noch lange nicht schlafen. Mein Ausschlag juckt, ich kühle ihn mit kalten Lappen, creme mit Kortison, surfe im Internet auf der Suche nach einer Diagnose, die ich finde: Krätze! Alles, die Form der Pusteln und Striemen, das nächtlich besonders fürchterliche Jucken, der stetig schlimmer werdende, gegen Antihistamine und Kortison scheinbar immune Ausschlag, alles spricht dafür. Wir müssen raus aus Roger, in Quarantäne, müssen die ganze Familie behandeln, scheiße scheiße, scheiße… Timm, wie immer lösungsorientiert hat damit scheinbar kein Problem. „Dann buchen wir uns halt eine Woche in einem Hotel ein, Du wirst gesund und wir fahren dann weiter“. Auch die Kinderaugen leuchten bei der Aussicht auf Resortpause.   

Am nächsten Tag lassen wir mit gemischten Gefühlen die Kinder alleine im Truck, fahren mit dem Taxi zum Arzt. Der diagnostiziert eine extreme allergische Reaktion, verpasst mir eine Spritze in den Hintern, die sich anfühlt wie ein Pferdetritt, verschreibt Creme und Tabletten, verbietet bis auf weiteres Kokosnüsse, Ananas, Limetten und Fisch.„Und?“, alle Kinder stehen erwartungsvoll an der Tür, als wir zurückkommen. „Zum Glück nur eine Allergie“ strahle ich. „Scheiße“, blaffen die Kinder und knallen mit der Tür.

Belize

3 Comments Hinterlasse einen Kommentar

  1. Sehr interessant eure Hintergrundinformationen, natürlich auch die Photos und mir gefällt , eure genauen Wahrnehmungen, Einblicke und Gedanken dazu, weiterhin gute Reise für euch , ihr seid eine großartige bewundernswerte Familie.

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