Von Matzatlan nach San Blas

Als wir am Morgen von der Fähre in Matzatlan rollen, ist sofort alles anders. Statt trockener Wüstenluft und karger Landschaft empfangen uns feuchte Tropenluft, sattes Grün und Blütenteppiche in allen Farben des Regenbogens. Wir fühlen uns in einer anderen Welt, einer lauten, hektischen Welt, in der der Verkehr uns von allen Seiten umschließt, in der die engen Straßen ohne Ankündigung plötzlich ihre Richtung wechseln und in der die Leitungen sehr tief hängen. Endlich wieder festen Boden unter den Rädern meldet sich der Hunger. Unsere letzten Cornflakes sind heute früh am Morgen in unseren wellengeplagten Mägen verschwunden, im Kühlschrank herrscht gähnende Leere. Unser Navi schickt uns den kürzesten Weg, gefühlte Mofawege. Immer wieder müssen wir anhalten, Lotta oder ich klettern aufs Dach, um die Höhe der Leitungen zu kontrollieren, hinter uns staut sich der Verkehr. Als wir irgendwann den Walmart Parkplatz erreichen, ist die Stimmung gespannt, wir sind verschwitzt, hungrig, genervt, die besten Voraussetzungen für einen Großeinkauf.

Obwohl Matzatlan sehr schön sein soll, ist unser vorherrschendes Bedürfnis das, diesem Gewusel zu entkommen, und wir beschließen nach Einkauf und Mittagessen, die Küste südlich Richtung San Blas zu fahren und irgendwo ein stilles Plätzchen am Strand zu finden. Noch immer liegen die Reisewarnungen mir wie ein Stein im Magen, lassen mich trotz der vielen positiven Berichte anderer Reisender einfach nicht los.

„ Reisende sollten bei Ausflügen und Überlandfahrten, vor allem in diesen Gegenden, unauffällig und möglichst nicht alleine reisen sowie organisierten Touren den Vorzug geben. In vielen Regionen kommt es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen staatlichen Sicherheitskräften und der Organisierten Kriminalität. Besonders ausgeprägt ist die Gewalt in den nördlichen und westlichen Bundesstaaten entlang der Pazifikküste. Sowohl wegen der erhöhten Überfall- als auch Unfallgefahr (schlechte Straßenverhältnisse, Schlaglöcher, streunende Hunde) wird dringend dazu geraten, nur tagsüber zu reisen und Nachtfahrten zu vermeiden. Zudem sollte nur an belebten Rastplätzen und Tankstellen Halt gemacht werden. Zu Urlaubsreisen mit dem Wohnmobil/Campingwagen kann wegen der ungenügenden Zahl von bewachten Campingplätzen nicht geraten werden.“

Eines der größten Ärgernisse bei Überlandfahrten in Mexiko sollen Straßensperren sowohl korrupter Polizisten, als auch von Zivilisten sein. Man wird unter einem Vorwand angehalten und nur nach Zahlung eines „ Zollgeldes“ weitergelassen. Wir beschließen, nur auf Mautstraßen weiterzufahren, um diesem Risiko zu entgehen. Wir sind keine Stunde unterwegs, da spannt sich plötzlich in der Ferne ein Seil über die Straße. In einer heute nicht besetzten Mautstation haben Zivilisten das Kommando übernommen, fordern als wir anhalten $70 (Pesos). Etwas unsicher blicken wir um uns, versuchen die Stimmung abzuschätzen. Der Mann, der die $70 fordert, hat lachende Augen, die Leute die uns umzingeln winken, trillern auf Pfeifen, es sind Frauen und Kinder anwesend, ein halbstarker teilt Chips aus einer Tüte  aus. Niemand hier wirkt bedrohlich und Timm entschließt, sich auf eine Diskussion einzulassen. Warum er bezahlen soll, will er wissen. „Para passar, para passar“, damit wir weiterfahren dürfen, lacht und ruf es aus allen Richtungen. Es wirkt wie ein Kinderstreich. Nach einigem Hin und Her zeigt Timm auf seine „Portland Police“ Schirmmütze, sagt, er sei selber Polizist und dass er sehen könne, dass das hier keine offizielle Mautstation sei und wir darum ohne Quittung nicht bezahlen werden. „OK“, lächelt der Mann mit den freundlichen Augen, das Seil wird gesenkt und wir dürfen fahren. So wird es uns noch viele Male ergehen und auf Nachfragen bei den Einheimischen wird uns gesagt, dass diese „Spenden“ freiwillig sein, dass man so entweder für das Rote Kreuz, für die Bauern der Gemeinde, für die Alten oder das Dorffest sammele. Oft wird die Infrastruktur geschlossener Mautstationen benutzt, manchmal aber auch die „Topes“, die zum Abbremsen zwingen. Je nach Situation entscheiden wir, ob wir scherzhaft die Zahlung verweigern, ob Timm den abgeklärten Polizisten spielt oder ob wir einfach nicht bremsen und durchfahren. Wenn allerdings sichtbar für das „Rote Kreuz“ gesammelt wird, spenden wir jedes Mal. So bedrohlich sich das Wort „Straßensperre“ anhört, nicht ein einziges Mal haben wir während der gesamten Zeit in Mexiko das Gefühl, bei einer solchen Sperre in Gefahr zu sein.

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Am späten Nachmittag sind wir noch immer weit entfernt von unserem Ziel San Blas, entschließen uns, Richtung Meer abzubiegen und langsam nach einem Nachtcamp zu suchen. In der Dunkelheit zu fahren wollen wir unbedingt vermeiden. Unser Weg führt uns durch kleine Dörfer, in denen die Menschen den Feierabend vor ihren Haustüren verbringen, in Gruppen zusammensitzen, Karten spielen, Zeitung lesen, Kinder fahren Fahrrad und spielen Ball, die Türen der Bougainvillea überwucherten Häuser stehen weit offen. Auch hier erntet Roger erstaunte Blicke, von allen Seiten wird uns freundlich zugewunken, manchmal werden Handys gezückt, um Fotos oder Filme von uns zu machen. Unsere Anspannung ist längst dem Gefühl willkommen zu sein gewichen. Unser Weg führt uns durch Chilli- und Tomatenfelder, durch Cocos-und Mangoplantagen. Im November 2018 hatte hier ein Hurrikan gewütet, viele der Lagerhallen wie Kartenhäuser zusammenfallen lassen. Einige Teile der Region haben noch immer keinen Strom, so auch der Platz, an dem wir diese Nacht campen. Es ist ein kleines Hotel mit angeschlossenem Campingplatz, direkt am tobenden Pazifik. Der Hurrikan war ein herber Rückschlag, es wird noch lange dauern bis die finanziellen Verluste verwunden sein, so der Hotelbesitzer.

Trotz der traumhaften Lage, dem grandiosen Pool in dem die Kinder am nächsten Morgen toben und einer inspirierenden Bekanntschaft mit Doris und Hans, einem Paar, das nun Ende sechzig schon die ganze Welt bereist hat, ist die Stimmung gespannt. Roger verliert Öl, viel Öl. Den gesamten Vormittag versucht Timm, das Leck ausfindig zu machen und zu beheben, für Paula und Carl findet Schule heute in Schieflage statt. Die Dichtung des Zylinderkopfdeckels, die Kelly aus Ermangelung von Ersatzteilen in San Francisco selbst gebaut hatte, ist undicht geworden, tropft wie ein schnell tropfender Wasserhahn. Im nächsten Ort müssen wir eine Werkstatt finden.

Ein paar Stunden später stehen wir in Acaponeta an der Pemextankstelle, fragen nach einer Werkstatt, die sich mit Dieselmotoren auskennt. „Maestro Juan“ tönt es von allen Seiten, „sucht Maestro Juan“. Als wir wenig später auf einem Hinterhof stehen, in dem sich Schrottautos, Fässer und Behältnisse in allen Größen, Müll und Werkzeuge undefinierbarem Alters stapeln bin ich skeptisch. Timms Augen beginnen zu leuchten: „Hier sind wir genau richtig“. Er soll Recht behalten. Nur eine Stunde später ist unser Zylinderkopfdeckel mit Dichtungsmasse versiegelt und wir posieren Arm in Arm mit der gesamten Werkstattbesetzung für ein Abschiedsfoto. Für eine Weiterfahrt ist es zu spät und so übernachten wir an der Pemextankstelle zwischen den Truckern, eine Art Übernachtungscamp die wir in den folgenden Wochen noch häufig in Anspruch nehmen werden. Aufgrund der etwas angespannten Sicherheitslage verfügen in Mexiko viele Pemextankstellen über ein bewachtes Gelände auf dem gegen ein kleines Tip an den Wachmann gefahrenlos übernachtet werden kann. Es ist laut, stinkt nach Pipi und die eine oder andere Dame auf der Suche nach einem liebesbedürftigen Trucker huscht durch die Dunkelheit. Unseren Schlaf aber stört das alles nicht.

Für die Schule am nächsten Tag allerdings ist das nicht der richtige Platz und so fahren wir früh weiter, nach San Blas. Auf halbem Weg macht Timm plötzlich eine Vollbremsung: Vor 20.000 Kilometern standen wir in Neumünster an der Tankstelle, haben versucht, unsere Abschiedstränen mit Eis und Pringles zu trocknen. 20.000 Kilometer in fast 9 Monaten sind nicht viel, und doch fühlt es sich an, als wäre das ein völlig anderes Leben gewesen. Wir fahren weiter durch tiefen Dschungel, durch kleine Dörfer, vorbei an krokodilversuchten Lagunen, parken im Palmenparadies. Unser verspäteter Schulstart leidet unter der inzwischen beachtlichen Hitze, den Sandflies, die so klein sind, dass ihnen unser Moskitonetz kein Hindernis bietet. Wir streiten, maulen uns an und am Ende heulen sowohl Lotta als auch ich und ich wünsche mich zurück nach Neumünster.

Wir brechen die Schule ab, fahren noch ein kleines Bisschen die Küste entlang, kommen an einem kleinen „Beachclub“ unter Kokospalmen zum Stehen. Hier gibt es keine Sandflies, die Kinder spielen stundenlang im badewannenwarmen Wasser, bodyboarden und surfen, Timm und ich machen uns in Ruhe Gedanken um die Weiterreise und nach einem schulfreien Wochenende sind die Akkus wieder so weit aufgeladen, dass wir uns dem Weg durch Mexikos Binnenland Richtung Yucatan stellen können.

Mexiko

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