Laguna Cuicocha & Quito

„Wohin Du auch gehst, geh mit ganzem Herzen“, soll der schlaue Herr Konfuzius gesagt haben. Was aber, wenn ein Teil nicht mitgekommen ist, was wenn ein Stück nun woanders schlägt, der verbliebene Rest bei jedem Puckern schmerzhaft krampft? Ich sitze auf der Dachbank, blicke über den braungelbgrünen Flickenteppich bestellter Felder, sehe den vertrauten Imbambura Vulkan  aus einer unvertrauten Perspektive, am Horizont die verschneiten Gipfel des Cayambe Vulkans, oder ist es der Cotopaxi? Hans wüsste das…wieder krampft es ein bisschen, der Atemzug bleibt auf halber Strecke stecken. Atmen ist nicht einfach gerade- und das liegt nicht daran, dass wir auf 3500m campen. Der Abschied von der Finca Sommerwind, von Hans, seiner Frau Ximena und der kleinen Avril, von „unserer“ Katze Sissi, „unserem“ Hund Lotta und dem liebgewonnen Nachbar Guido trifft mich mit etwas Verzögerung nun volle Breitseite. Beim Aufbruch waren wir aufgeregt, kribbelig, voller Vorfreude. Zwar kullerten ein paar Tränchen, aber die Aufregung war stärker, der Abschied fühlte sich irreal an. Bis jetzt. Immer wieder muss ich heulen. Wenn man mit Menschen eine so intensive und bedrohliche Zeit wie die einer weltweiten Pandemie verbringt, wenn man Ängste, Nöte und Sorgen miteinander teilt, wenn man sich hilft und gemeinsam über Wasser hält, dann hinterlässt das Spuren, ziemlich tiefe, wie ich feststellen muss. Hans, seine Familie und Guido sind mehr als Reisebekanntschaften, mehr als eine Zwangsgemeinschaft, sind uns in einer Zeit, in der wir verletzlich waren, sehr nah gekommen. Und nun sind sie plötzlich nicht mehr da. Vieles wird auf Reisen einfacher, wenn man es oft genug geübt hat- Abschied nehmen gehört für mich nicht dazu.

Ein ohrenbetäubendes Surren reißt mich aus meinen trüben Gedanken: Nur zwei Meter über meinem Kopf schwirrt Lottas Drohne, landet neben dem Truck. Lotta ist aufgekratzt, freut sich über gelungene Aufnahmen der Laguna Cuicocha- dem Mehrschweinchensee- eines der Naturwunder, welches die nordecuadorianische Provinz Imbabura zu bieten hat. Wir sind nun schon zum zweiten Mal hier, um die Kraterlagune aus der Nähe zu besichtigen. Leider erfolglos. Der Nationalpark, der den einzigen Zugang zur steilen Kraterwand darstellt, ist noch immer geschlossen. Angeblich, weil noch keine Infrarot Fieberthermometer zur Verfügung stehen, die laut der neuen Covid Sicherheitsregeln überall vorgeschrieben sind. Guido und Hans hatten uns erzählt, dass man auch einfach auf der nahen Landstraße halten kann, dass man die Trampelpfade am Rand der bestellten Felder nutzen darf, um einen Blick auf den 3 Quadratkilometer großen See zu erhaschen. Leider aber sind all diese Wege verbarrikadiert, die Bauern der Umgebung wirken ablehnend, die Mitarbeiter der Nationalparkbehörde fahren uns hinterher, um sicherzugehen, dass wir nicht die überall aufgestellten „Nicht Betreten“ Schilder missachten. Dass man nicht Drohne fliegen darf, steht nirgends und als in der Nähe unseres Camps dann doch ein Tor offengelassen wird, fühlen wir uns eingeladen, wandern über endlose Viehweiden und schaffen es pünktlich zum Sonnenuntergang doch noch, die Lagune im Abendrot versinken zu sehen.

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Das Dorf Cotocachi, auf das ich von meiner Dachbank blicken konnte, gilt als eines der hübschesten Dörfer Nordecuadors. Bekannt ist es für die Lederkunsthandwerker, deren unzählige Geschäfte sich in allen Hauptstraßen befinden. Auf dem Weg nach Quito machen wir eine Pause, Max möchte unbedingt auch einen Ledercowboyhut wie Timm  und Carl. Leider hat Corona auch dieses Dorf fest im Griff, die Straßen sind wie leergefegt. Ein paar kleine Tiendas, welche die nötigsten Lebensmittel, ein bisschen Gemüse, Wasser und Klopapier verkaufen, sind geöffnet, eine Bäckerei, zwei Apotheken, ansonsten überall heruntergelassenen Jalousien. An anderen Orten wären wir vielleicht traurig gewesen, hier allerdings strahlen die Wandmalereien extrabunt, so bunt, dass es selbst Max darüber hinwegtröstet, hier keinen Cowboyhut kaufen zu können.

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Auf dem Weg nach Quito überqueren wir erneut den Äquator. Ich bin skeptisch, mich ins Großstadtgewimmel zu stürzen, die Angst vor Corona übermannt mich doch immer wieder. Nach den letzten Monaten in unserer Sommerwindblase überfordern mich Menschenansammlungen und das Letzte, wonach mir gerade ist, ist eine wuselige, stinkige, chaotische lateinamerikanische Großstadt. Die bekomme ich auch, wider Erwarten, nicht. Quito, die Hauptstadt Ecuadors, ist die am höchsten gelegene Hauptstadt der Welt und völlig anders als ich erwartet habe. Die auf 2850m, auf den Ruinen einer Inka Stadt erbaute Altstadt Quitos gilt laut der UNESCO als die am besten erhaltene Altstadt Lateinamerikas. Das „Florenz Südamerikas“ wird die Stadt zu Füssen des Pichincha Vulkans auch genannt. Ähnlich wie Medellin, liegt die Stadt in einem schmalen von Nord nach Süd verlaufenden Tal, ist umgeben von hohen Bergen und 14 Vulkanen, von denen 4 aktiv sind. Immer wieder wurde die Stadt von Erdbeben, Vulkanausbrüchen und und Aschefällen heimgesucht, musste mehrmals wieder aufgebaut werden. Sperrungen des Flughafens aufgrund von Ascheauswürfen der umgebenden Vulkane sind in der 2,7 Mio Einwohner Stadt nicht außergewöhnlich. Das letzte Mal wurde in Quito nach dem Ausbruch des Reventador Vulkans 2002 der Notstand ausgerufen, als die Stadt knöcheltief in Vulkanasche versank.

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Zwar befinden wir uns im regenarmen Sommer, der in Quito zwischen Juni und November herrscht, dennoch liegen die umliegenden Gipfel in einer dichten Wolkenschicht, die alle Farben schluckt, den Himmel wütend wirken lässt. Wir parken Roger im Nordteil der Stadt, dem modernen Geschäftszentrum, das von glitzernden Hochhäusern dominiert wird, die den zentral gelegenen Carolina Park säumen. Wir parken unter dem riesigen „Cruz del Papa“, dem Papstkreuz, neben uns ein gigantisches Porträt des Würdenträgers. Sofort fühle ich mich nach Vancouver versetzt: Um uns herum üppiges Grün, auf den Wiesen, der auch nachts beleuchteten Laufbahn trainieren fitte Großstädter, Skater und BMX Fahrer schießen durch die Pools der Skatebahnen, stehen an den Rändern und lassen einen Joint herumgehen. Sobald irgendwo Polizei gesichtet wird, geht die Warnung wie eine Welle durch die Menge, der Joint verschwindet, in Sekunden sind die eben noch rauchenden Münder hinter dem obligatorischen Mundschutz versteckt. Die Strafen für einen fehlenden Mundschutz sind empfindlich, liegen bei 100$US und die Polizeidichte ist erstaunlich. Sie patrouillieren den Park und die Umgebung mit Fahrrädern, auf Pferden, mit Motorrädern und Golfcarts, gefühlt alle 5 Minuten erscheint irgendwo ein Polizist im Gebüsch. Gerade erst wurden einige Lockerungen eingeführt, noch bis vor wenigen Tagen war der ganze Park gesperrt. Erst langsam schaffen es die Stadtgärtner, die Flächen von hüfthohem Gras zu befreien, in vielen Teilen stehen noch Zäune und auf den gemähten Flächen rotten meterhohe Hügel Grasschnitt. Es war hier nicht einfach in den letzten drei Monaten, erzählt uns ein Expatösterreicher, der hier mit seiner equadorianischen Frau und Tochter lebt. Kinder durften drei Monate lang nicht die Wohnung verlassen, die Schulen waren zu, die Polizei extrem streng. Hier in Quito haben viele das Gefühl, dass Corona eine willkommene Möglichkeit ist, die regierungsverdrossenen Massen am Demonstrieren zu hindern. Solange der Notstand anhält, haben regierungskritische Bürger absolut keine Möglichkeit, außerhalb sozialer Netzwerke ihren Unmut zu äußern. Die meisten hier sind unzufrieden mit der Politik des Präsidenten Lenin Moreno, der als korrupt und machthungrig gilt. Quito, so hören wir mehrmals, sei ein Pulverfass. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis der Unmut der Bevölkerung sich nicht mehr zähmen lässt, das, so befürchtet man, wird nicht weniger verheernde Auswirkungen haben, als der Ausbruch einer der umgebenden Vulkane. Für mich ist all das unsichtbar. Ich sehe entspannte Spaziergänger, Eltern die mit ihren Kindern spielen, verliebte Pärchen, Rentner, die ihre viel zu dicken Hunde hinter sich her schleifen, es scheint ruhig, fast gemütlich. Zum Entzücken der Jungen finden wir im Carolina Park eine BMX Bahn, auf deren Buckelpisten sie mit Blick auf verspiegelte Hochhäuser ihre überschüssige Energie loswerden können.

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Der nächste Tag ist wieder grau. Bei totaler Windstille kracht eine alte Pinie über den Parkplatz. Ihre Zweige durchdringen das Dach eines Autos, der Stamm zerquetscht den kleinen Neuwagen, in dem zum Glück niemand sitzt. Der Baum fällt auf ein paar Stromkabel, diese lassen den Betonmast einstürzen, nur wenige Zentimeter vor Rogers Windschutzscheibe peitschen die Kabel. Hätten wir nur ein bisschen weiter vorne oder drei Parkplätze weiter rechts geparkt, wäre das alles nicht gut für uns ausgegangen, ein Glück hat Timm beim Parken auf den Schutz des Papstes vertraut. Timm repariert, während die Kinder und ich Schule machen, ein Leck in der Kühlleitung, immer wieder bekommen wir Besuch, werden zu unserer Reise, zu unseren Plänen, Erfahrungen und zu Roger befragt, posieren für Erinnerungsfotos. Ich muss zwischendurch zum Zahnarzt, weil ich vor ein paar Tagen eine Plombe verloren habe. Viele Zahnärzte haben noch geschlossen, die wenigen, welche Patienten empfangen, haben lange Wartelisten. Einen Arzt allerdings finden wir, der mich sofort empfangen kann. Er trägt den Mundschutz diagonal, sodass er aussieht, wie eine übergroße Slipeinlage, die nur notdürftig die Nase bedeckt und an deren Seiten die Mundwinkel sichtbar bleiben. Anders als alle Zahnärzte, die ich bisher getroffen habe, scheint es ihn nicht zu stören, dass es beim Bohren in seine Augen spritzt und er legt keinen Wert auf Handschuhe. Immerhin sprüht mich von oben bis unten mit Alkohol ein, ist so nett, mich vorher zu warnen damit ich rechtzeitig die Augen schließen kann. Immer wieder nimmt er den Mundschutz ab, um mich über Deutschland zu befragen und zum allerersten Mal habe ich mehr Angst vor dem Zahnarzt als vor seinem Bohrer.

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Mit neuer Plombe wandern wir nach dem Mittagessen entlang der Avenida Rio Amazonas in das historische Zentrum der Stadt. Von verschmutzter Luft, vom Verkehrsgewühl hatte der Reiseführer gewarnt. Wahrscheinlich hat Corona auch das auf dem Gewissen. 1534 vom spanischen Offizier Sebastian de Belalcázar auf den Ruinen einer Inka Stadt neu gegründet, trägt Quito seit 1979, als erste Stadt neben Krakau den Titel UNESCO Weltkulturerbestätte. Wie viele Städte des spanschen Kolonialreichs wurde auch Quito im Schachbrettmuster angelegt, was zum Teil zu extrem steilen Straßenverläufen führte.

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Im Minutentakt fühle ich mich in Städte in anderen Teilen der Welt versetzt. Die steilen Straßen in Verbindung mit den liebevoll restaurierten Fassaden in Puderfarben erinnern an San Francisco, die neugotischen Türme der Basilica del Voto Nacional beamen mich nach London oder Paris, der Plaza de la Independencia, das Herz des Altstadtkerns, auch Plaza Grande genannt, lässt mich an Italien denken.

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Über der Stadt wacht die beflügelte Statue der Virgen de Quito, acht aktive Klöster und unzählige Kirchen zeugen von der stark römisch – katholischen Prägung. Die Dichte an Museen, Galerien und feinen Restaurants kann es locker mit jeder europäischen Metropole aufnehmen und ähnlich wie dort, liegt auch hier alles im Dornröschenschlaf.

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Die sonst so trubeligen Straßen wirken beschaulich, die Touristenpolizei gelangweilt, überall stehen die Reste von Strassenbarrikaden. Wir fallen so sehr auf, dass ich mehrmals darauf hingewiesen werde, unbedingt auf meine Tasche und die Kamera aufzupassen. Nicht eine Sekunde allerdings fühle ich mich unwohl. Erst als das Strassengewirr in Richtung der Virgen de Quito Statue etwas enger wird, die fliegenden Händler zahlreicher und das Menschengewimmel dichter, beschließen wir, ein Taxi zurück in die Nordstadt zu nehmen. Auch hier in Quito sind die Taxifahrer von den Fahrgästen durch eine eingeklebte Plastikplane getrennt, das Geld wird durch einen kleinen Schlitz geschoben, das Wechselgeld mit Alkohol desinfiziert durch eben diesen Schlitz zurückgegeben.

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Am nächsten Tag flutet ein Wolkenbruch die Straßen, die  Avenida Rio Amazonas ist nun nur noch Rio Amazonas, Autos scheinen zu schwimmen, weil ihre Reifen nicht mehr sichtbar sind. Wir gehen mit den Kindern einkaufen. In den letzten Wochen sind alle vier gleichzeitig aus ihren Hosen herausgewachsen, für mich der Shoppingalbtraum. Nach drei Stunden Neonlicht und Umkleidekabinenschlangen möchte ich nur noch raus auf der Stadt. Auf kürzestem Wege. Leider aber ist der für Roger nicht erlaubt. Wir übersehen ein Verbotsschild, fahren durch einen sehr engen Tunnel und werden an der anschließenden Mautstation von der Polizei angehalten. Sie sind erbost. Was wir mit unserem Monstertruck auf dieser Straße suchen, wollen sie wissen. Ob uns der Tunnel nicht ein bisschen eng vorkam und ob wir die Seitenbegrenzung umgefahren hätten. Haben wir nicht, auch wenn zu beiden Seiten nur 10 cm Platz war. 30 Minuten Diskussion enden schließlich damit, dass wir den Beamten 100$US „Strafe“ zahlen müssen, die auf keinem Quittungsblock vermerkt werden. Zum ersten Mal in Lateinamerika haben wir nun korrupte Polizisten getroffen. Da wir aber tatsächlich einen Fehler gemacht haben, wir sicher auch bei anderen Polizisten hätten Strafe zahlen müssen, verbuchen wir es als Lehrgeld, fahren ein bisschen missgelaunt weiter Richtung Süden.

Ecuador

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