Halifax

Nova Scotia, Canada

Wenn man nach 7 Tagen auf dem Meer endlich wieder Land erblickt, ist man automatisch verliebt. In den puren Anblick von einem greifbaren Horizont, in Grün, in den Gedanken bald wieder Boden unter den Füßen zu haben. 

Als wir, in sengender Hitze, in viel zu warmer Kleidung, ohne einen kanadischen Cent in der Tasche das Hafengelände verlassen, bin ich in Hochstimmung, voller Vorfreude auf das, was uns in Kanada erwarten würde. Ich liebe Schweden, könnte mir vorstellen, fern der Zivilisation auf einer Schäre ohne fließend Wasser und Strom zu leben, liebe Weite und Abgeschiedenheit, mag urwüchsige Natur. Kanada, so meine Erwartung, ist wie Schweden hoch 100. Hoffentlich, liebes Kanada, enttäuschst Du mich nicht!

10 Sunden später liege ich, erschlagen von unserem ersten Tag in Halifax im Bett unseres gemieteten Hauses. Das Bett quietscht bei jeder Bewegung, die Matratze hängt durch, jede Feder des Kerns bohrt sich wahlweise in meinen Rücken oder in die Seite. Es ist heiss, feuchte Luft wabert, von heiser krächzenden Ventilatoren in Bewegung gesetzt durchs Haus. Aus dem Küchenschrank riecht es nach inkontinenter Katze, aus den Badezimmerfugen wachsen Pilze. An keinem Ort auf der Welt, wäre ich gerade lieber. In nur wenigen Stunden hat Halifax mein Herz im Sturm erobert. Hier, in diesem alten baufälligen Haus, mit den Papierwänden und den nicht zu öffnenden Fenstern könnte ich bis ans Ende meiner Tage glücklich sein. 

 

Wir hatten keine Vorstellung von Halifax gehabt, hatten nicht vorher im Lonely Planet gelesen, hatten absolut keinen Plan was wir dort machen würden. Wie immer, waren wir ersteinmal mitten im Zentrum gelandet, hatten alles in uns aufgesogen und erst am Abend nachgelesen, was wir da eigentlich gesehen hatten. 

Fast 15 Kilometer waren wir von der Fähre bis zum Haus gelaufen, hatten zwischendurch für Burger, Limonade und Eis gestoppt. Eine entzückende Kellnerin heilte den Kindern das gebrochene Herz über den Verlust des philippinischen Schiffskochs, am Boardwalk entlang der Waterfront war ein Volksfest, überall Hüpfburgen, Verkaufsstände, Menschenschlangen an den Eisbuden. Niemand drängelt, jeder lächelt. Der Hipster am Kiosk grinst durch seinen Vollbart, gratulierte uns zu unserer „beautiful family“, die Autofahrer stoppen noch bevor man den Zebrastreifen erreicht, lächeln als Max auf halbem Weg über die Straße nochmal umdreht um eine Glasmurmel aufzuheben. Am späten Nachmittag, nach Feierabend, bringen uns die Zollbeamten unser Gepäck an die Haustür, machen dafür einen riesen Umweg. Ich muss mich sehr zurückhalten den Officer und seine Kollegin nicht in den Arm zu nehmen, bin gerührt von so viel Freundlichkeit. 

Am nächsten Tag fährt Timm früh am Morgen los, um Roger zu holen. Ich bin nervös, hoffe, dass der Zoll nichts zu beanstanden hat, das nichts geklaut wurde. Im Schiffsbauch hatte Roger an jeder zu öffnenden Klappe, an jeder Tür einen roten Zollsiegelsticker gehabt. Was die bewirken sollen, ist mir schleierhaft. Die Kinder und ich verbringen den Morgen mit Schule. Gerade als die Stimmung kippen will, hupt  es draußen. Wir haben Roger wieder, ohne Kratzer, komplett und ohne Beanstandung. Als ich einen vergessenen Sticker von der Beifahrertür löse, verstehe ich endlich wie die Zollsticker funktionieren: Ein intakter Sticker ist durchgehend rot, wurde er geöffnet, erscheint ein Schriftzug. 

 

Die Straße vor „unserem“ Haus ist breit, wir können direkt vor der Eingangstür parken. Kanadier lieben es groß: Die Klos gleichen Babybadewannen, Trockner und Waschmaschine fassen die dreifache Wäschemenge, der Kühlschrank ist ein Kühlhaus. Die Pickuptrucks sind dröhnende Monster, der unseres Nachbarn hat 650 PS, die Straßen sind breit, so breit wie das Lächeln der Leute wenn sie Roger sehen. Wir sind völlig überrumpelt von der Aufmerksamkeit und von dem Interesse das Roger erweckt. Im Minutentakt machen Jogger, Rad-oder Autofahrer eine Vollbremsung, fragen Omis mit Hund, Opas mit Gehstock, Mamas mit Kinderwagen oder Müllmänner bei der Arbeit, nach Rogers Geschichte. Roger passt nach Kanada, ist Kanada in Fahrzeugform. 

Am Tag vor meinem Geburtstag schwingt Timm sich mit den Kindern auf die Fahrräder, ich darf nicht mit, ziehe stattdessen mit der Kamera durch die Straßen unserer Nachbarschaft. Endorphine sprudeln, ich kann mich nicht sattsehen an den zuckergussbunten Holzhäusern, an den Veranden mit Schaukelstühlen, an den bunten Vorgärten, den schattigen breiten Straßen, die Namen wie „Bliss St.“ tragen und die man nicht über Zebrastreifen, sondern über Regenbogen überquert.

 

 

An meinem Geburtstag machen wir einen Ausflug an den Strand, verbrennen uns fürchterlich in der unterschätzten Sonne, treffen dort zufällig die bezaubernde Kellnerin wieder.

 

Halifax ist ein Dorf, schon in kurzer Zeit kennen wir unsere Nachbarn, wünschten wir hätten mehr Zeit, um sie besser kennenzulernen. Die Familie von gegenüber hat drei Kinder, plant im November mit ihnen nach Neuseeland zu reisen, ein paar Monate dort zu verbringen und die Kinder selbst zu unterrichten. Sie laden uns ein, mit ihnen schwimmen zu gehen, bieten uns ihre Fahrradhelme für die Kinder an. Gareth, der rechts von uns ein Haus renoviert, bietet seine Hilfe an, nimmt sich einen ganzen Vormittag Zeit, mit Timm die Baumärkte abzuklappern und unsere Gasflaschen wieder aufzufüllen. Das Paar das über uns wohnt (und wie wir später erfahren das Haus besitzt), bietet uns seine Garage für die Fahrräder und den Gartenschlauch zum Füllen unserer Tanks an. Jeder in dieser Stadt ist unglaublich freundlich, selbst die Jogger lächeln einem ein keuchendes „Hi“ entgegen. In unmittelbarer Nähe befinden sich eine Skaterbahn, ein plastiktütenfreies Einkaufszentrum, Dutzende renovierungsbedürftiger Holzhausträume, Strand und ein Frischwassersee, namens Chocolatelake, für Lotta ein Starbucks. Nach vier Tagen müssen wir Halifax verlassen, das Haus ist neu vermietet. Vielleicht ein Glück, sonst wären wir schon am Beginn unserer Reise kleben geblieben. 

Bevor wir Halifax Richtung Süden verlassen, möchte ich noch unbedingt auf den Fairview Lawn Cemetery. Generell hege ich eine etwas morbide Faszination für Friedhöfe, schlendere gerne zwischen den Grabsteinen, stelle mir vor wer hier begraben ist, wie wohl sein Leben war. In Deutschland sind die Inschriften auf Grabsteinen eher nichtssagend, hier erzählen sie Geschichten. Es scheint völlig normal, dass sich Partner beim Tod des Gatten ebenfalls mit ihrem Geburtsdatum auf dem Grabstein verewigen lassen, nur das Todesdatum bleibt offen und wird später nachgetragen.

 

Auf den Fairwiew Cemetery allerdings führt uns nicht meine gewöhnliche Faszination für Friedhöfe. Seit wir selbst auf fast identischer Route den Atlantik überquert haben, fühlen wir uns der Titanic und ihrem Schicksal verbunden. Halifax, als der der Unglücksstelle nächste Hafen sendete sofort nach Eingang des Notrufes Schiffe aus, um den Opfern zur Hilfe zu kommen. Jene, für die jede Hilfe zu spät kam und die der Ozean noch nicht verschluckt hatte, wurden hier begraben, u. A. auch Jack Dawson, dessen Namen Leonardo di Cabrio in „Titanic“ trägt. Erst als Paula und ich am Nachmittag beginnen, überwucherte Gräber von Unkraut zu befreien, verliert Timm die Geduld und wir verlassen Halifax endgültig. 

Kanada

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